Lesetipp/Rezension Reiseführer

Kolumbien am nächsten

Wenn Sie sich für Kolumbien interessieren, greifen Sie nicht nach einem Buch von Gabriel García Márquez. Das hilft vielleicht im kühlen Europa über die Sehnsüchte nach dem "aufwühlenden Element" hinweg, das die Autoren des Nah Dran- Kolumbien, Hella Braune und Frank Semper, diesem Land so trefflich bescheinigen. Lesen Sie lieber gleich eben dieses Buch und fahren sie dann mit ihm hin.

Es ist ein Buch, das die Vorzüge Kolumbiens auf den Punkt bringt ("es gehört zu den wenigen verbliebenen Ländern, die uns nicht nur an der Oberfläche berühren") und auch die der Kolumbianer ("sie haben nichts von der geschliffenen Routine an sich, mit der andernorts Besucher abgefertigt werden"). Es interpretiert, erklärt und erzählt auf selten profunde Weise, so dass das durch bad news from Colombia in der Welt erzeugte Monsterimage Kolumbiens schon während der Lektüre in sich zusammenbricht und einem faszinierenden vielschichtigen Bild weicht, das allen Facetten Kolumbien's gerecht wird. Darin unterscheidet sich das Buch vor allem von den Handbüchern, die man normalerweise für eine Reise nach Kolumbien in den Rucksack stecken würde, z.B. einem Lonely Planet oder Rough Guide. Während letztere sich in der Weltsprache Englisch vornehmlich als sichere Wegweiser für ein globales Travellerpublikum verstehen, das sich im Wirrwarr von Hotels und Restaurants in der Fremde zurechtfinden will, und einen meist emotionslosen Überblick über die Beschaffenheit des Reiseziels bieten, leistet der Nah Dran-Band Kolumbien mehr als das: Er führt nicht nur in den letzten Winkel dieses multiethnischen Andenlands zwischen Pazifik und Karibik, es öffnet auch die Augen für seine Besonderheiten.

Hella Braune und Frank Semper sind nicht durch Kolumbien gehetzt, um zeit- und geldsparend irgendeinem Verlagskonzept gerecht zu werden. Es war umgekehrt: Erst war die Reise, dann kam das Buch und für das Buch gründeten sie den Sebra-Verlag. Sie zogen von Ort zu Ort und durch die Regionen, knüpften Kontakte, schlossen Freundschaften - fast wie Aussteiger, aber ohne dabei den Boden unter den Füssen zu verlieren. Am Ende lieferten sie mit der ersten Auflage von Nah-Dran Kolumbien das erste brauchbare deutschsprachige Buch über ein Land, in das sich damals wie heute nur wenige Journalisten wagen. Zweifellos leisteten sie Pionierarbeit, von der nicht nur Privatleute, sondern auch alle an Informationen über Kolumbien Interessierten profitierten, z.B. die Autoren späterer Reiseführer über das Land. So machten Hella Braune und Frank Semper während ihres gegen den Reise-Know-How-Därr-Verlag angestrengten Prozesses die schmerzliche Erfahrung, dass das Urheberrecht nur bei der Übernahme wortwörtlicher Formulierungen greift und ihnen für jegliche weitere Nutzung ihres Buch nur die Kopier-Tantiemen der VG Wort bleiben.

Der Schock war ein fruchtbarer: Nicht nur, dass Hella Braune und Frank Semper nun ihre Nah Dran-Reihe erweitern wollen (ein Band zu Bolivien ist schon auf dem Markt, einer zu Peru in Vorbereitung und weitere sind geplant). In der zweiten Auflage präsentiert sich das Nah dran-Kolumbien-Buch mit fast 500 Seiten um rund 50 dicker als zur ersten Auflage; es wirkt professioneller und übersichtlicher - und noch detailbesessener. Nahezu alle jüngeren Ereignisse in Kolumbien werden angesprochen - von der Mauss-Affäre bis zum Plan Colombia. Wie in manch' anderem Reisebuch sind jetzt die "Highlights" von Kolumbien aufgelistet, hier "Hot-Spots" genannt. Auch gibt es inzwischen eine Zeittafel, die quasi auf einen Blick in die Geschichte Kolumbiens einführt. Alle Hotels, Restaurants und (An-)Reisehinweise zu den nach Regionen geordneten Orten sind auf den neuesten Stand gebracht. Der schon in der ersten Auflage in seiner Genauigkeit einzigartige Info-Teil wurde erneut verfeinert, in ihm fehlt auch ein ausführlicher Sicherheitscheck zum Thema Drogen&Guerilla nicht. Am köstlichsten aber ist das Glossar, in dem u.a. in Kolumbien gängige Redewendungen und Ausdrücke aufgeführt sind. Zum Beispiel "apredadita" (Frau mit Kurven, etwa wie "steiler Zahn") oder "verraco" (wörtlich "Eber", gebraucht im Sinne von "Pfundskerl" ein großes Kompliment). Sie sollten es lesen, dann kann Ihnen in Kolumbien kaum etwas passieren. (gf)

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