Fenster schliessen Politik & Hintergrund

CariLat - Karibik - Lateinamerika - Magazin

DIE WAHRHEIT KANN DAS LEBEN KOSTEN

In Kolumbien suchen Journalisten und Verlage nach Auswegen aus der dramatischen Lage für die Medienarbeit

Von Peter Korneffel (Bogotá)
Ausriss: El ESPECTADOR

Journalisten geraten in Kolumbien zwischen die Fronten des bewaffneten Konflikts, wie allenfalls noch in Tschetschenien oder Sierra Leone. Der Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" gelten diese Staaten seit 1999 als die gefährlichsten Länder für Berichterstatter.

Der letzte Beitrag von Alfredo Abad stammt aus dem kolumbianischen Departement Caqueta. "Was einst als eine ‚Zone der Entspannung' errichtet wurde, hat sich zu einem Schlupfwinkel für Banditen gewandelt", berichtet der 36-jährige Radioreporter. Eine Woche später, am 13. Dezember 2000 um 5.45 Uhr, verlässt Alfredo Abad seine Wohnung. Er will für seine Radiosendung Mittwoch im Osten ins Studio fahren. Direkt vor der Haustür wird er von zwei "Sícarios", von Auftragsmördern, erschossen. Abad hatte die Höreranrufe zur Nutzung der entmilitarisierten Zone durch die Guerilla der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) zusammengefasst - genug, um in Kolumbien zwischen die Fronten zu geraten.

Abad ist einer von 34 in Ausübung ihrer Arbeit ermordeten Journalisten in Kolumbien binnen zehn Jahren. Die UN nennen Schreiber und Fotografen, die Radio- und Fernsehreporter "Journalisten mit gefährlicher Mission" oder Frontberichterstatter im eigenen Land. Bei einem Seminar über die "Fallen des Krieges für den kolumbianischen Journalismus" in der Hauptstadt Bogotá, ausgerichtet von der Journalistenorganisation Medien für den Frieden, zogen rund 50 Journalisten Bilanz und tauschten sich aus.

"Sie hatten uns schon einmal die Kameraausrüstung abgenommen", berichtet Hydamis Acero. "Sie hatten mich sogar mit sechs Kollegen zusammen entführt. Aber als die Paramilitärs wiederholt Menschen mit Kettensägen in unserer Region zerstückelten, mussten wir filmen. Der Sender wollte das, und auch wir wollten die Wahrheit nicht vertuschen." Hydamis Acero arbeitet als Korrespondentin für den TV-Sender RCN in dem von Guerilleros und rechtsgerichteten Paramilitärs schwer umkämpften Departement Santander, 280 Kilometer nordöstlich von Bogotá. Die Morddrohung der ‚Paras' kam postwendend nach der Ausstrahlung ihres Beitrags.
Dennoch Hydamis Acero will auch künftig aus der Region berichten. Ihre Vorgesetzten, fernab in der Hauptstadt, erwarten quotenstarke Berichte und Live-Schaltungen. RCN zeigt regelmäßig emotionalisierende Bilder von Massakern und Attentaten in Kolumbien. Besonders die harte Konkurrenz mit dem Fernsehsender Caracol setzt die Korrespondenten unter Druck: Sie müssen die sensationelle Nachricht möglichst schnell und als erste verbreiten. Das löst die Berichterstattung nicht nur aus dem Kontext, sondern bringt die Journalisten immer wieder in Gefahr. Doch langsam scheint das persönliche Sicherheitsbedürfnis über den Konkurrenzgedanken zu siegen. Erst jüngst gingen Acero und ihr Team eine "strategische Zusammenarbeit" mit den "bis dahin verfeindeten Journalisten" von Caracol in Santander ein, wie die junge Reporterin berichtet.

Die Radiojournalistin Frorángela Herrera wurde von ihrem Sender Radionet im November in die "Zone der Entspannung" geschickt. Ihr gelang vor allen anderen Medien ein Scoop, eine echte Nachricht im Friedensprozess. "Abends saßen einige Journalisten und Guerilleros zusammen, und ein Kollege verbreitete im Suff das Gerücht, ich hätte die entscheidende Information nur erhalten, weil ich mit einem Militärgeneral ins Bett gehen würde." Florángela Herreras Lippen zittern, als sie erzählt: Am folgenden Morgen erhielt sie eine Morddrohung von der Guerilla, telefonisch und unmissverständlich. Doch die Lage ist noch komplizierter: "Anders herum wirst du von den rechten Paramilitärs gebrandmarkt, wenn du dich gut mit der linksgerichteten FARC in San Vicente de Caguán stellst."

Alle bewaffneten Gruppen des Landes unterhalten mittlerweile Spione im jeweils anderen Lager. Teilweise stellen sie sogar "schwarze Listen" ins Internet - zynische Orientierungshilfe, welche Journalisten welchem fremden Lager "dienlich" und daher zu beseitigen seien.

Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit von Journalismus sind in Kolumbien spätestens seit dem Erstarken der rechten Paramilitärs bedroht. Eine wachsende Zahl von Journalisten mache sich zunehmend zu "Propaganda-Instrumenten einzelner Konfliktparteien" und damit "zu einem Teil des Problems", so die selbstkritische Einschätzung der Medienschaffenden. Im Extremfall seien einige Kollegen "verheiratet mit der Quelle und machen sich zu Pressesprechern der Guerillaführung". Es grassiere ein Verbeugen vor den "Meistern der Desinformation, den Sprechern der Regierung und der Guerillagruppen", beschreibt BBC-Korrespondent Jerry McDermott die Lage. "Wir alle wissen, dass wir uns selbst zensieren. Denn die Wahrheit kann das Leben kosten." Auch Rafael Santos, der Herausgeber der landesweiten Tageszeitung El Tiempo, räumt die große Gefahr ein, "zunehmend als hilfreiche Instrumente benutzt zu werden". Seine Befürchtung ist, "dass wir der gewalttätigen Realität in Kolumbien bald nicht mehr gewachsen sein könnten".

Natürlich gibt es in der Heimat von Gabriel García Márquez auch heute noch ausgezeichnete Journalisten und Kommentatoren. Doch der Berufsalltag der Korrespondenten ist alarmierend. In den "Konfliktregionen", wozu mittlerweile etwa 80 Prozent des Staatsgebietes Kolumbiens zählen, ist jede Nachricht, jeder Bericht, jedes Bild auch ein Abwägen mit der eigenen Sicherheit. Der Druck aus den Chefetagen, die harte Konkurrenz zwischen den Medien verschärft diese Lage für die Berichterstatter vor Ort weiter.

"Manchmal mache ich Dinge, die ich nicht machen sollte: Da muss ich Menschen zum Weinen bringen, damit die Nachricht auch abgedruckt wird", sagt die Reporterin Luz Marina Cabrera von der Tageszeitung Diario del Sur im südkolumbianischen Pasto. Mehrere Journalisten berichten auf dem Seminar, wie weit sie sich von den Anforderungen des kritischen Journalismus entfernt haben: Das häufige Anführen anonymer Quellen und das Unterlassen von Gegenrecherchen gehören bereits zu den Sicherheitsstandards zahlreicher Reporter. Interviewfragen sind nicht anderes mehr als Stichworte. Hintergrund und Analyse finden schließlich keinen Platz, wo sich Korrespondenten "von einem Attentat zum nächsten hangeln", wirft Alfredo Rangel, ein renommierter Analytiker des kolumbianischen Bürgerkriegs, den Reportern vor. Niemand widerspricht.

Man kennt die Gründe. Zum einen ist die Ausbildungssituation für Journalisten nach wie vor schlecht. Zum anderen akzeptieren finanzschwache Medien logistische Hilfe der Terrorgruppen. Wenn Mörder oder weltweit gesuchte Verbrecher wie der Paramilitärführer Carlos Castaño den Jeep, den Helikopter oder die Telefonleitungen für die Recherche stellen, legt mancher Korrespondent dem vermeintlichen Wohltäter schließlich auch das "Interview" zum Autorisieren vor.

Aber es gibt auch Ansätze zu einem neuen "Journalismus für den Frieden", etwa durch die Sektion "Friedensbeilage" der Politikredaktion von El Tiempo. Die Redakteurin Marisol Gómez Giraldo berichtet: "Bei fünf Toten verzichtet die Redaktion bewusst auf den Begriff ‚Massaker'. Wir informieren dann über einen ‚fünffachen Mord'. In der Friedensbeilage kommen Anschläge und Terrorakte gar nicht erst vor." In dieser "gewaltfreien Zone" von El Tiempo schrieb Gómez Giraldo diesen Monat eine Reportage über Jugendliche in der Entspannungszone der FARC, die den Rekrutierungsansinnen der Guerilla trotzen und sich in der Landschule auf das zivile Leben vorbereiten.

Ein anderes Beispiel für das Umdenken ist die erfolgreiche Kampagne der Fernsehproduktion Noticiero 90 Minutos aus Cali: nach zwei Wochen täglichen "Trailerns" der Nachrichtensendung mit einem erschütternden Menschenrechtsbericht eines offiziellen Beobachters, entsandte die Regierung erstmals nach drei Jahren wieder Sicherheitskräfte in die betroffene Gemeinde, welche die verbliebenen 12 000 Bürger nun vor der Vertreibung schützen.

"Wir sind keine Draufgänger", resümiert der Zeitungsreporter José Aarón Rojas aus Cali am Ende des dreitägigen Seminars: Die Veranstaltung rüttele wach und könne gar einen historischen Wendepunkt im kolumbianischen Journalismus markieren. Zurück zu einer verlorenen journalistischen Ethik. Hin zu einem Friedenskodex für den "Journalismus in Zeiten des Krieges".
"Erstmals in der Geschichte Kolumbiens haben Verleger und Korrespondenten an einem Tisch die Lage des kolumbianischen Journalismus analysiert", heißt die Bilanz von Andrés Restrepo, Gründer und Präsident von Medien für den Frieden. Die 500 Mitglieder zählende Organisation veranstaltete im Vorfeld 35 Seminare im ganzen Land. Zufrieden zeigte sich auch die Deutsche Botschaft in Bogotá, die die Seminarreihe unterstützt und die Teilnahme der zahlreichen regionalen Journalisten ermöglicht hat: "Nie zuvor trafen sich die Journalisten aus den Departements zu einen Dialog mit den Kollegen aus der Hauptstadt. Am Ende steht ein gemeinsamer Ruf nach Glaubwürdigkeit und Qualität."

-

 

CariLat - Karibik - Lateinamerika - Magazin


Alle Angaben nach bestem Wissen, aber ohne Gewähr
Copyright © CariLat. All rights reserved.
Stand: 18. Dezember 2012
 Fenster schliessen

© webDesign by  CariLat