CariLat-Karibik-Lateinamerika-Magazin Argentiniens Landwirtschaft in Zeiten des Rinderwahns

Von Peter Korneffel (für DIE ZEIT, Februar 2001)

"Zum Glück haben wir den Krieg verloren, denn seit dem Verlust der Falkland-Inseln 1982 haben wir Argentinier den Handel mit England abgebrochen und erst recht keine wahnsinnigen Rinder eingeführt."

Natürlich schwingt eine gewisse Häme mit, wenn Victor Tonelli unter den Starfotos der preisgekrönten Zuchtbullen und dem großen silbernen Pokal für die besten Erzeuger Argentiniens in den 60er Jahren das BSE-Drama europäischer Rinderhaltung kommentiert.

Tonelli war bis 1999 Präsident des Exportverbandes der Argentinischen Fleischindustrie (AIAC) und ist heute Vize und Geschäftsführer einer der vielen Rinderzüchterverbände im südamerikanischen Argentinien. Sein breites Lächeln an dem langen Konferenztisch in Buenos Aires vertritt rund 600 Züchter der britischen Edelrasse "Hereford": "Nach dieser Bombe in Europas Fleischindustrie wird nichts mehr so sein wie vorher. Die Politik der Hocheffektivität in der Produktion hat ebenso versagt wie die landwirtschaftlichen Subventionen der EU."

Argentinien als einer der größten Rindfleischproduzenten der Welt aber auch als der größte Futtermittellieferant in die Europäische Union schaut in diesen Monaten mit höchster Anspannung auf Zahlen, Verordnungen und Emotionen in der EU. Das Land des Tangos und der schier unendlichen Pampa-Weiden stand noch im Oktober haarscharf vor dem Staatsbankrott und der Zahlungsunfähigkeit von rund 150 Mrd. Dollar öffentlicher und privater Schulden.

 

Da hatte der Internationale Währungsfonds im vergangenen Herbst gerade ein "Rettungspaket" von 39,7 Mrd. Dollar neuer Kredite und Umstrukturierungen gesammelt und geschnürt, als plötzlich in fast ganz Europa Rinder schwankten und zusammenbrachen. Im Schatten von Bauernprotesten, Ministerwechseln und höchster Alarmstimmung in Brüssel und Straßbourg, geht es heute auch für Argentinien um die Wurst und um die Sojabohnen.

Wird das Pampaland am Rio de la Plata in die gefährliche Landwirtschaftskrise Europas hineingezogen? Oder ist Argentinien am Ende gar der große Krisengewinnler und zeigt der Welt, wie man wiederkäuende Vegetarier großzieht und was ein saftiges, gesundes Steak ist?

Tonelli ist ein Phänomen: Selten erlebt man einen Verbandsfunktionär so selbstbewusst und kämpferisch, dessen Mitglieder vor wenigen Wochen noch einen fast ruinösen 50-prozentigen Preiseinbruch für ihr Exportfleisch hinnehmen mussten. Auch argentisches Rindfleisch der Spitzenklasse "Hilton cuts" fiel in Folge der Angst vor BSE und Kreuzfeldt-Jakobs in den europäischen Kühlhäusern von 8000 Dollar pro Tonne auf 4200. Mittlerweile steigt es wieder gen 6000 Dollar, und Tonelli glaubt fest an die Zukunft seiner eigenen mittelgroßen Herde von 3000 Hereford-Rindern: "Im Moment herrscht Panik in Europa, doch schon bald haben sie in Deutschland wieder Lust auf Fleisch. Und dann werden wir wieder besser verkaufen."

Deutschland als Importeur von derzeit rund 85 % des einfuhrquotierten Hilton cuts ist maßgeblich entscheidend für den Broker-Preis dieses Fleisches. Die Filets und Rumpsteaks landen schließlich auf den Tellern etwa bei Maredo, Blockhaus, Churrasco und einschlägigen Hotels.

Wenn Argentinier von Rinderzucht reden, pflegen sie nicht zu kleckern, sondern sie klotzen. Im Gegensatz zu europäischen Intensiv-Zuchtbetrieben dominiert auf den riesigen argentinischen "Estancias" die extensive Viehwirtschaft mit naturnaher Weidehaltung.

Ein Beispiel. 168 Kilometer südlich der Hauptstadt Buenos Aires stehen auf der Estancia La Pelada etwa 6000 Hereford-Rinder auf 4936 Hektar: 35 % bestes Pampagras und 47 % nahrreiche Kulturgräser mit Klee und Co. Dazwischen wachsen die Futterpflanzen als Ernährungsergänzung für die reproduzierenden Tiere und die Ausstellungstiere der Zuchtwettbewerbe: Mais, Hafer, Wintergras und Sommergras. Extensiv bedeutet: zieht man die Sonderflächen ab, stehen nur zwei Rinder auf einem Hektar Gras. Auf abgelegenen Estancias bekommt ein Rind auch schon mal 15 Hektar für sich allein.

Diese durchschnittlich große Rinderfarm La Pelada beschäftigt fünf berittene "Gauchos", drei Traktorfahrer, einen Agrarwissenschaftler und eine Köchin. Saisonbedingt heuert man einzelne Männer zusätzlich an. Der Besitzer landet einmal monatlich mit seinem zweimotorigen Flugzeug auf der Piste zwischem den 42 Parzellen der Estancia.

Der verantwortliche Agronom José Mariano Chillado präsentiert stolz einen seiner prächtigsten Zöglinge: Er heißt "X 384" und ist Sohn des legendären Zuchtbullen "Freeman". Der jugendliche X 384 wog einen guten Zentner bei seiner Geburt vor 21 Monaten. Nach 30 Wochen am Euter der Mutterkuh und einem guten Jahr auf der Weide wiegt das junge Zuchtexemplar heute beeindruckende 850 Kilo! Obwohl man dem geschlechtreifen Reproduzierer mit dem handballgroßen Hodensack noch nie den Samen nahm, ist er der große Erbe der Zuchtlinie seines Vaters. Denn Freeman selbst hatte zuletzt 2500 Rinder pro Jahr gezeugt, erlag aber kürzlich einem Herzinfarkt auf dem Rücktransport von der Samenbank.

Normal ist das nicht. Normal wird ein auswachsenes argentinisches Rind mit einem Durchschnittsgewicht von 400 bis 500 Kilo zum Schlachthaus geführt. Wenn der hydraulische "Hammer" in den Nacken des Rindes schlägt, geht das Tier in die letzte Runde entlang den Werkzeugen der Ausbeiner, an dessen Ende im Landesdurchschnitt 220 Kilo Fleisch in die Kühlräume wandern, die besten Stücke als "Hilton cuts".

"Unsere Hilton-Quote von jährlich 28000 Tonnen Fleisch-Lieferung in die Europäische Union ist unbedeutend. Die Amerikaner nennen so etwas B-B-Q", reflektiert Antonio Tomás Berhongaray gegenüber der ZEIT. Diese Hilton-Quote ist mit einer 20-prozentigen EU-Einfuhrsteuer belegt; jedes einzelne Kilo darüber hinaus wird handelshemmend mit zusätzlichen 3 Euro verzollt.

Berhongaray, der argentinische Staatssekretär für Landwirtschaft innerhalb der Wirtschaftsministeriums und direkter Amtskollege von Ministerin Renate Künast ist besorgt: "Nein, wir sind nicht die Gewinner der BSE-Krise. Uns beunruhigt vielmehr die Situation in Europa. Für die dortige Landwirtschaft besteht die große Gefahr, dass die Menschen nach BSE ihre Konsumgewohnheiten beim Fleisch grundsätzlich ändern."

Ist das eine Einladung zum großen B-B-Q - "Made by Freeman and Friends"? "Eine der wichtigsten Konsequenzen aus dem Absturz des Rindfleischmarktes muss ein Ende der EU-Agrarsubventionen sein." Berhongaray nimmt damit die Forderung des IWF-Vizedirektors Stanley Fisher vom jüngsten Weltwirtschaftgipfel in Davos auf und fährt fort: "Von den Politikern des Nordens hören wir exzellente Vorträge über den freien Handel, doch bis heute werden wir von ihnen mit Zöllen und Quoten beschnitten. (...) Die Bürger Europas spüren nun, dass sie ihre Steuergelder in etwas stecken, was nicht sicher ist, was sogar ihren Kindern gefährlich werden kann. Wir sind solidarisch mit Europas Fleischkonsumenten."

Der Staatsekretär hat gut reden, denn Argentinien steht zusammen mit Paraguay, Uruguay, Australien und Neuseeland bei der Welthandelssorganisation in der Kategorie "eins" für äußerst geringe BSE-Gefahr bei Rindfleisch aus diesen Ländern. Wohl zu recht: Argentinien hatte die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer bereits Mitte der 50er Jahre gesetzlich verboten. Seit einem weiteren Verbot von 1995 importiere das Land überhaupt kein Tiermehl mehr, so der Vorsitzende der deutsch-argentinischen Industrie- und Handelskammer (CIDICAA), Luis Schirado. Diese "nach unserem Ermessen BSE-sichere Kette" bestätigt ein Mitarbeiter des deutschen Landwirtschaftministeriums.

Seit vergangener Woche hat die Regierung in Buenos Aires "präventiv" und zumindest vorübergehend die Einfuhr von Lebensmitteln mit tierischen Substanzen in weitem Umfang untersagt. Auch Argentinien ist die Anspannung angesichts der BSE-Krise ins Gesicht und in die Verordnungen geschrieben.

Das internationale Unbedenklichkeits-Zertifikat "Kategorie I" wiegt in Argentinien deutlich mehr als der jüngste Preiseinbruch. Denn bis dato exportiert Argentinien nur rund 12 %, also gut 300000 Tonnen seiner im vergangenen Jahr produzierten 2,8 Millionen Tonnen Rindfleisch. Entsprechend enthält der 5 Milliarden Dollar-Umsatz ab Schlachthof nur einen Exportanteil von 500 bis 700 Millionen Dollar jährlich. Gemessen am Gesamtexport des Landes macht argentinisches Rindfleisch etwa 3 Prozent aus.

Die Exporteure verkaufen darunter auch Tiermehl, insbesondere nach China. Weitere Mengen der gemahlenen Schlachtabfälle landen in der nationalen Futterproduktion für Hunde, Katzen und Hühner - ohne Rinderwahnbelastung, versteht sich.

Wahnsinnig sind in Argentinien allenfalls die Konsumenten: Statistisch verzehrt jeder der 37 Millionen Einwohner pro Jahr 68 Kilo Rindfleisch; im fleischverliebten Deutschland waren es bis vor kurzem nur 15 Kilo pro Kopf, heute sind es bekanntlich deutlich weniger.

Von den 50 Millionen argentinischen Rindern finden jährlich etwa 13 Millionen den Weg zum Schlachter. Anders gesagt: rechnerisch produziert Argentinien jährlich zwei kräftige 240-Gramm-Steaks für jeden Erdenbürger und hat sechs weitere Steaks auf den Weiden stehen! "Wir sind sofort bereit, große Nachfragen aus Europa zu erfüllen", beteuert Staatssekretär Berhongaray. "Wenn wir nicht mehr mit der schweren Konkurrenz der EU-Subventionen zu kämpfen haben und die Strafzölle endlich fallen, bauen wir unsere Herden binnen kurzer Zeit auf 60 Millionen Köpfe aus." Bemerkenswert ergänzt der Sekretär: "Bei meiner Dezemberreise nach Brüssel haben mir EU-Funktionäre signalisiert, dass Argentinien ein höhere Hiltonquote erhalten wird, sobald die Union ihre BSE-Probleme in den Griff bekommt."

Aber Vorsicht: Der Markenartikel "Argentinisches Rindfleisch" werde bereits mißbraucht, so Andrés von Buch, Präsidiumsmitglied der deutsch-argentinischen Handelskammer im Gespräch mit der ZEIT: "Auf einmal haben alle möglichen Händler argentinisches Rindfleisch. Auch in Deutschland erhalten x-beliebige Tonnagen aus Polen irgendwoher argentinische Papiere." Staatssekretär Berhongaray will diese Behauptung nicht bestätigen, mahnt aber: "Wir bestehen gegenüber den verantwortlichen Behörden in Europa natürlich auf absolut strikte Kontrollen der Herkunft und Hygiene von Lebensmitteln."

Bei der Lebensmittelhygiene stehen Argentinien seit wenigen Tagen plötzlich ganz andere Probleme ins Haus. Im Zuge der neuesten BSE-Verordnungen und -beschlüsse der Europäischen Union unterliegen auch Futtermittel neuen Gesundheitsbestimmungen. Das Parlament in Straßbourg verabschiedete am 14. Februar neue Bestimmungen über Anbau, Import und Handel mit genmanipulierten Lebens- und Futtermitteln.

Viel bedeutender als der Fleischexport ist am Rio de la Plata der Export von Mais, wo Argentinien nach den USA der zweitgrößte Produzent der Welt ist und beim Export in die EU gar führend ist. Schließlich ist Europa einer der größten Importeure pflanzlicher Proteine. Auch bei Sojaöl und Sojamehl führt Argentinien mit Brasilien und den Vereinigten Staaten die internationalen Handelsstatistiken an.

Argentiniens Sojaproduktion ist bereits zu 90 Prozent genmanipuliert, beim Mais sind es 10 bis 15 %. Jene Futtermittel sollen ab 2004 - wie es scheint - nicht mehr in die EU gelangen dürfen. Ein Paukenschlag für Argentiniens Landwirtschaft, der einen heftigen Streit zwischen Umweltschützern und Exporteuren hervorgerufen hat. Die Getreidefarmer hatten sich gerade noch die Hände gerieben ob des weitreichenden EU-Verbots von Proteinen aus Tiermehl und Fischmehl. Da Platzte der Straßbourg-Entschluss wie eine Bombe in die Debatte.

Noch vor wenigen Tagen rief die argentinische Fischereidirektion die Umweltschutzorganisation Greenpeace um Hilfe im Konflikt mit einer asiatischen Fangflotte im Atlantik. Und nun ruft Greenpeace die Getreidefarmer der Nation zur Abkehr von "GMO"-Produkten auf: "genetic modified organics".

"Auf über acht Millionen Hektar wird in Argentinien genmanipulierte Soja angebaut. Und selbst bei den nicht manipulierten 10 Prozent kann kaum eine Reinheit garantiert werden, da es bei den Feldergrenzen, beim Transport und bei der Silolagerung zu Vermischungen kommt", sagte Emiliano Ezcurra der ZEIT. Ezcurra ist Koordinator für Biodiversität bei Greenpeace Argentinien: "Ber der Mais-Manipulation zum "RR-Mais" unterließ es Argentinien vor zwei Jahren den USA zu folgen, was uns heute den guten EU-Exportmarkt ermöglicht. Aber bei der Soja ist die Sache klar. Argentiniens Soja ist gegen das Unkrautvernichtungsmittel Roundup resistent gemacht worden."

Und dabei sei laut Ezcurra ein antibiotica-resistentes Begleitgen in die DNA-Kette eingebaut worden. Wenn sich das auf den Menschen übertrage, könne in Zukunft schon eine Grippe beim Menschen schwere Folgen haben. "Das Verbot aus Straßbourg für das Jahr 2004 kommt viel zu spät. Argentinien muss jetzt glaubwürdig trennen und zertifizieren, um den EU-Markt für pflanzliche Proteine nicht zu verlieren. Anderseits hat unser Land ein gewaltiges Potential für organische Produkte und naturbelassene Lebensmittel", so Ezcurra.

Entrüstet antwortet der ehemalige Präsident der landwirtschaftlichen Föderationen Argentiniens, Arturo Navarro, in einem großen Meinungsartikel der Tageszeitung Clarin: "Wenn jemand wirklich das Land verteidigen will, hilft uns solch eine Kampagne von Greenpeace in der EU überhaupt nicht ... (Greenpeace) will leugnen, dass die Europäische Union Jahr für Jahr ihre Sojamehlimporte erhöht hat, obwohl sie wussten, dass Argentinien manipulierte Saaten anbaut." Ungeachtet des neuen EU-Beschusses verteidigt Navarro die "Sicherheit der Biotechnologie" als "einziges Werkzeug, die Menschheit ausreichend zu ernähren".

Während es in diesen Tagen in Argentinien noch Uneinigkeit und Unsicherheit über die Tragweite des Straßbourger Beschlusses gibt, bleibt der Agrarsekretär Antonio Berhongaray in Sachen Genmais und Gensoja pragmatisch: "Kurzfristig sehe ich ein Problem bei der neuen Kennzeichnung. Unsere Kosten werden durch die doppelte Logistik zur Trennung der Produkte steigen. Aber ein gekennzeichnetes Produkt ist deswegen kein schlechtes."

Dass die Europäer gerade nach den Erfahrungen mit BSE nun besonders vorsichtig auch bei genveränderten Futtermitteln seien, glaubt Berhongaray nicht so recht, denn "die Sensibilitäten enden beim Preis für den Konsumenten." So oder ähnlich hatten es schon die deutschen Rinderzüchter formuliert. Bevor ihre Tiere schwankten.

.


Alle Angaben nach bestem Wissen, aber ohne Gewähr
Copyright © CariLat. All rights reserved.
Stand: 09. May 2002
 

© webDesign by  CariLat