Der Naturpark
Westensee
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Noch immer wird hier das Leben nach
Gutsherrenart gepflegt.
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Es
war die letzte Eiszeit, in der diese Landschaft geschaffen wurde: mit
Seen, Sümpfen und kleinen Flüssen, Kliffen, Kiesrücken und Sandbänken.
Vor gut 200 Jahren, als die Dänen hier herrschten, sind die für
Ostholstein so typischen Knicks dazugekommen- grüne Schutzwälle für die
Felder gegen die Erosionskraft des Windes. Goethe nannte diese Ecke
Deutschlands in einem Brief an seinen Kunstfreund Heinrich Meyer wenig
angetan die "Sumpf- und Wassernester zu weit hinten im Norden".
Heute ist
diese Gegend größtenteils der 250 Quadratkilometer große Naturpark
Westensee. Eingerahmt von den Autobahnen Hamburg-Flensburg und
Rendsburg-Kiel, ist eine Art Verkehrsinsel entstanden, in der Ruhe
herrscht wie im Auge eines Hurrikans.
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Hier sind es die Bauern gewohnt, dass
man ihren Traktoren die Vorfahrt lässt, und noch manch uralter Hof steht
neben einem Bausparkassen-Eigenheim
oder den Wochenendhäusern der Städter aus Hamburg. Es ist ein
Rückzugsgebiet vor dem Trubel der Welt - in dem man sich gern an die Zeit
zurück erinnert, als der Westensee, wenn auch nicht gerade der Nabel der
Welt, so doch des Nordens war. Dafür muss man freilich weit bis in die
Anfänge der Besiedelung zurückgehen: als die Seelandschaft noch in den
finsteren Isarnho, den "Eisernen Wald" eingebettet war, und
Ritter aus dem Geschlecht der Ammoniden in den drum herum liegenden
Gebieten im Auftrag des holsteinischen Herzogs die slawischen Stämme
unterwarfen.
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Es
war auch die Zeit von Vizelin, des großen Wendenmissionars und ersten
Bischofs von Oldenburg, der hier eifrig die ersten Kirchen und Klöster
bauen ließ - mit dem von ihm gegründeten Chorherrenstift in Neumünster
als Basis für seine Arbeit: das Augustiner-Chorherrenstift. Als er 1154,
schon vier Jahre zuvor durch einen Schlaganfall gelähmt, starb, wurde er
hier begraben, aber die rechte Ruhe fand er nicht. 1332 wurden die Gebeine
des als Heiligen verehrten Mannes nach Bordesholm gebracht, das damals ein
wichtiger Ort war. Heute ist Bordesholm eine kleinstädtische Gemeinde am
Südrand des Naturparks. Auf einem Hügel neben einer gewaltigen, zum
Naturdenkmal erklärten alten Linde, erhebt sich jetzt eine viel zu groß
wirkende Hallenkirche im Stil der Backsteingotik, die nach den
Reformationswirren vom damaligen Kloster übrig geblieben ist. In ihr
erinnert nur noch ein kostbares Chorgestühl von 1509 an seine Blütezeit,
denn der einst weithin berühmte Schnitzalter des Hans Brüggemann steht
schon seit 1666 im Schleswiger Dom und statt Vizelins Sarkophag gibt es
lediglich eine Gedenktafel. Er verschwand bei der Stillegung des Klosters.
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Während
Vizelin das Wort Gottes predigte, verliehen die Ritter dem neuen Glauben
mit dem Schwert Nachdruck, und weil sie dies überaus erfolgreich taten,
erhielten sie das Land zum Lehen und durften sich fortan "Herren vom
Westensee" nennen.
Als sie sich niederließen, war der Wasserspiegel des Westensees noch
nicht durch den Bau des Nordostseekanal abgesenkt, mit dem der See über
die nordwärts austretende Eider verbunden ist. Dieser kleine Fluss
beschrieb die Grenze des deutschen zum dänischen Reich und war schiffbar
von der Mündung in die Nordsee bis zum Westensee. Auf ihm kamen die
einzigen Menschen daher, die die unwirtliche Gegend belebten: flämische
Kaufleute. Denn am Westensee verluden sie ihre Waren für das letzte
Wegstück zur Ostsee auf Wagen.
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Aus
dem Stapelplatz entstand Flemhude, heute ein schönes verwinkeltes Kleinod im Naturpark, mit gartenumzäunten niedrigen Häuschen und frühgotischer
Feldsteinkirche zwischen gewaltigen Bäumen. Gegenüber lag das
Ausflugsrestaurant "Zum Lindenkrug" , wo die Gäste noch
mitgebrachten Proviant verzehren durften. Unweit weist eine Markierung den
Weg zur alten Wasserstraße dieser Händler. Als Zugang zum
Nordostseekanal ist sie zwar heute begradigt und in Ringkanal umbenannt,
und es kommt allemal ein Kanuwanderer vorbei. Doch
verwunschen bewachsene Uferzonen und die kleinen Anlegestellen mit den
Booten der Uferanwohner helfen noch dabei, sich in die alte Zeit zurückzuversetzen.
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Mit
der Ankunft der neuen Grundherrn wurde der Stop in Flemhude für die
Händler kostenpflichtig. Doch die "Herren vom Westensee"
begnügten sich nicht dem Kassieren von Wegezöllen, sie spielten auch
große Politik: Sie wirkten bei der Gründung Kiels mit wie bei der
Verabschiedung der legendären constituto waldemari, in der der Wille
verankert wurde, Schleswig ein für allemal den Dänen zu entreißen. Und
da sie für den Grafen von Holstein und das vereinte Schleswig-Holstein so
manche Lanze brachen, erhielten sie bald noch Rendsburg dazu, den nahen
Schnittpunkt von Eider und Ochsenweg, der von der Elbe über Rendsburg,
Schleswig und Flensburg bis hoch nach Jels und Viborg führte.
Der
Höhepunkt ihrer Macht war erreicht - und der tiefe Fall nahte: mit dem
Erstarken der Hansestädte. Um die Kosten für den Transport zu Land zu
senken, schlossen diese mit dem holsteiner Grafen, dem die Westenseer
ohnehin längst zu einflussreich geworden waren, den hanseatischen
Landfrieden. Damit war es mit den Wegezöllen vorbei. Trotzig verschanzten
sich nun die "Herren vom Westensee" mit Söldnern auf ihren
Burgen und nahmen sich als Raubritter, was ihnen ihrer Meinung nach
zustand. Die Quittung dafür ließ freilich nicht auf sich warten: Bald
brannten ihre Burgen - angezündet vom Heer der lübschen Hanse.
Von diesen Burgen ist heute nichts mehr zu sehen. Dort, wo sie auf der
Karte des Naturparks als "Hohburg" und "Lohburg"
verzeichnet sind, wuchert längst Schilf und Ufergestrüpp. Auch weiß
eigentlich keiner so genau, wie diese Burgen aussahen, obwohl sie des
öfteren urkundlich erwähnt wurden. Vermutet wird der Burgtyp Chateaux al
la motte wie er zuerst von den Wikingern in der Normandie und später in
ganz Europa angelegt wurde: Hölzerne Forts mit Wehrturm und Palisenzaun.
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Der
Verantwortliche für den Landfriedensbruch - es war übrigens der letzte
seines Geschlechts - wurde nach dem vernichtenden Feldzug in Lübeck vor
Gericht gestellt und ordentlich verurteilt. Doch irgendein Unbekannter
ließ es lieber nicht dabei bewenden und erschlug ihn schnell noch auf
Lübecker Gebiet. Als später ein entfernt Verwandter darum bat, doch das
Wappen der Herren vom Westensee führen zu dürfen, wurde er mit den
erschrockenen Worten abgewiesen: "Barmherziger Gott ! Es wird das
Eichhörnchen nie wieder auf den Baum kommen!" Ein nussknackendes Eichhörnchen war das Wahrzeichen derer zu
Westensee
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Ausgerechnet
ein Freizeitverein der Freien und Hansestadt Hamburg ehrt heute
regelmäßig diesen einst von den Hanseaten wenig geliebten Clan.
Mindestens einmal im Jahr treffen sich die Mitglieder beim Gut Bossee, um
die "Herren vom Westensee" in mittelalterlichen Rollenspielen gewissermaßen
wieder auferstehen zu lassen. So mancher Spaziergänger rieb sich da schon
verdutzt die Augen, wenn ihm bei dieser Gelegenheit plötzlich so ein
versprengter Kerl in voller Rüstung im Wald erschien. Aber auch im
Kirchdorf Westensee hält man das Andenken seiner legendären Vorfahren
gern hoch und hisst am ehemaligen Gasthof bei der Kirche mitunter eine
Fahne mit ihrem pussierlichen Wappentier - gewiss nicht ganz ohne Stolz
darauf, dass diese legendären Vorfahren einst den Großstädtern die
Stirn boten - wenn auch ohne Erfolg.
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Von
Haus aus Eigenbrötler, tun sich die Westenseer denn auch mit dem
Tourismus etwas schwer. Sie repräsentieren heute zweifellos eine Region
Schleswig-Holsteins, die den wenigsten Werbewirbel um sich veranstaltet.
Aber viel Spielraum bleibt den Machern auch nicht. Auffallend viel Land,
darunter große Waldgebiete, ganze Seenflächen und Seeuferzonen sind im
Naturpark noch im Privatbesitz - ein Erbe aus der Zeit, als auf die
Grundherrschaft der Ritter die Gutsherrschaft folgte.
Immerhin - an der höchsten Erhebung des Naturparks, dem knapp 94m hohen
"Kieler Berg", wurde ein Erholungswald freigegeben. Auch lässt
der Besitzer des nur ein paar Meter niedrigeren Tütebergs Spaziergänger
die schöne Aussicht auf den Westensee genießen, und hat nichts dagegen,
wenn sich auf dem kleinen Gipfel Esoteriker treffen wollen, um sich in den
mystischen Kraftfeldern aus altgermanischer Zeit zu baden.
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An den Seen wurden einige
idyllische Badestellen freigeschlagen, wo sich an sonnigen
Sommerwochenenden heute noch wie in den fünfziger Jahren ganze Sippen zum
Picknick einfinden. In Achterwehr kann man Kanus mieten und mit ihnen
eiderauf- oder abwärts paddeln und dabei den Westensee durchqueren. Und
auch am Brahmsee werden Boote verliehen - die jeweiligen kostenpflichtigen
Genehmigungen der Gewässereigner schlagen die Anbieter auf den Mietpreis
auf.
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Auch dass für den Routenverlauf des rund 240 km langen Wanderweg-Netzes
viel privates Gelände zugunsten des Tourismus freigegeben wurde, merkt
schnell, wer vom Weg abweicht und dann immer wieder vor Schildern
"Betreten verboten" steht. Auffallend viel Bewegungsfreiheit
haben jedoch Reiter. Wer wie einst die Ritter hoch zu Pferd unterwegs sein
will, den erwartet eins der längsten und schönsten Reitwegenetze
Deutschlands - Reitställe mit Mietboxen gleich dazu. Schließlich gibt
und gab es unter den Gutsbesitzern viele Pferdenarren - allen voran ein früherer
Besitzer des Guts Westensee, der Hindernisreiter mit dem nach ihm
benannten "pulvermann`schen Grab" beglückte.
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Im
Großen und Ganzen aber hält man es aber lieber mit den "Herren vom
Westensee", verschanzt sich ins Private und nutzt als Bollwerk den Naturschutz,
der 1970 mit Einrichtung des Naturparks offiziell Einzug hielt. Es
schadete ihm natürlich nicht. Nicht nur, dass hier noch fast wie vor 900
Jahren mächtige Eichen, Buchen und finstere Tannen die Wälder verdunkeln
und herrliche Alleen auf Schlösser und Gutshöfe zuführen.
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Nachts kann
man noch dem glockenhellen Gesang der Nachtigall lauschen - bis er vom
rauhen Schrei der Wildgänse übertönt wird, die sich auf einem der Seen
sammeln. Diese rahmen sommers stattliche Teppiche blühender Seerosen oder
dichte Schilfgürtel. Im Moor wächst der Sonnentau, und auf den Wiesen
kann man Schwarzstörche sichten.
Sogar Fischadler und Seeadler brüten im Naturpark, verrät Jens Jensen,
der Vorsitzende der Naturschutzbund-Ortsgruppe Nortorf. Wo sie ihre Nester
haben, das bleibt freilich sein Geheimnis. Wenn der pensionierte Lehrer
unterwegs ist, um Vogelstimmen zu deuten und Pflanzen am Wegesrand zu
bestimmen, dann wurde schon die Ministerpräsidentin von
Schleswig-Holstein zur interessierten Schülerin. |
Zurückhaltender verhalten sich die Besitzer der drei Schlösser im Naturpark
Westensee - zumindest die von Schierensee und Deutsch-Nienhof. Besuche
unerwünscht, erfährt man beim Verkehrsverein in Nortorf. Einzig Schloss
Emkendorf könne besucht werden - aber nur von Gruppen und nach
persönlicher Voranmeldung. Einzelpersonen werden gern auf die
gelegentlich dort stattfindenden Lesungen oder Konzerte und Veranstaltungen
des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals verwiesen.
Besucher müssen sich deshalb meist mit den Außenansichten der Schlösser
begnügen - und
mit dem Gang in die Feldsteinkirchen von Flemhude und Westensee, wenn sie
Baudenkmäler schauen wollen. In den Kirchen sind Reste mittelalterlicher
Fresken erhalten und schöne sehr alte Grabplatten für die Verstorbenen
der im Naturpark heimischen Adelsfamilien zu sehen. Dabei stößt man
immer wieder auf die Namen der verschiedenen Schlossbesitzer.
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Das
lebensgroße Grabmonument für Daniel Rantzau in der Kirche zu Westensee
beispielsweise erinnert an Deutsch-Nienhof, das der Hosen-bandordenträger
und Oberst unter dem dänischen König Friedrich II., bis zu seinem Tod
1569 bewohnte. Seit dem 17. Jahrhundert ein Dreiflügel-bau, ist das Schloss
mitsamt seiner berühmten, weit über 10 000 Bände zählenden Bibliothek
wertvoller alter Werken zur Landesgeschichte seit 1776 bis heute im Besitz
der Familie Hedemann.
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Schloss
Schierensee ist das jüngste der drei, 1774 als Alterssitz für den
Großbotschafter des deutschen Kaisers im Königreich Polen und dänischen
Lehnsgraf Caspar von Saldern erbaut. Es ist auch das einzige, das nicht
mehr im Besitz einer alteingesessenen Adelsfamilie ist. Vor ein paar
Jahren übernahm es ein landbekannter Optiker-Konzern von der Familie des
Verlegers Axel Springer.
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Das
berühmteste Schloss ist Emkendorf - allerdings weniger, weil seine
Wurzeln bis in die Zeit der Herren vom Westensee zurückreichen, sondern
weil es sich um die Zeit der Französischen Revolution unter Fritz und
Julia von Reventlow den Ruf eines "Kulturzentrum des Nordens"
erwarb. In Verkennung des dort verkehrenden Kreises sprach man gar von
einem "Weimar des Nordens". Ein Etikett, bei dem sich Goethe
zweifellos im Grab umdrehen würde. Der fromme Dunst, den Julia und ihr
ernster Gemahl Fritz da um sich verbreiteten, und den er zur Genüge aus
den Briefen von der Emkendorf-Freundin Auguste Stolberg kannte, war ihm zuwider.
Emkendorf hatte damals eher den Ruf, eins der letzten Bollwerke gegen den
politischen und religiösen Liberalismus zu sein.
Das
Geld für den pompösen Lebensstil hatte Julia in die Ehe mitgebracht. Sie
war die Tochter des reichsten Manns im Land, des vom pommerschen
Kaufmannssohn zum dänischen Schatzmeister aufgestiegenen Heinrich Carl
Graf Schimmelmann, der sein Vermögen vor allem durch den Handel mit
Sklaven und seiner überseeischen Besitzungen gemacht hatte.
Führungen
durch das Schloss, das die Reventlows im Louis-seize-Stil hatten umbauen,
von dem eigens aus Italien geholten Maler Pellicia ausschmücken und mit
einem englischen Park hatten versehen lassen, sind oft Sache von Elfriede
Ströh, der Mutter des Försters von Emkendorf. Während sie im Gartensaal
über das Bildnis von Fortuna, und im Esszimmer über "Idee" und
"sinnlichen Reiz" von Material doziert, sind ihre Wangen vor
Aufregung leicht gerötet. Am meisten, sagt sie, habe Julia es ja
bedauert, dass sie Goethe nie als Gast hätte begrüßen können, denn er
hätte dem Kreis, zu dem die Dichter Klopstock und Matthias Claudius, der
auf Emkendorf das Volkslied "Der Mond ist aufgegangen" schrieb,
die Philosophen Reinhold, Jacobi und Schönborn, Kieler Professoren,
französische Emigranten wie Lafayette zählten, doch erst richtig Glanz
verliehen.
Stolz zückt sie schließlich die Kopie eines Briefs, der heute im Archiv
von Weimar liegt, und den Julia am 16.Dezember 1794 endlich an Goethe
schrieb, und zitiert die glühenden Worte, mit denen Julia ihn umgarnte:
"Freund meines Freundes, Liebling meines Lieblings - unsere
Nachtigallen sollen ihr bestes Lied Ihnen vorsingen und alles soll Ihnen freundlich
entgegen, blühen und duften ....O wären Sie doch nur erst in unseren
Kreis her gezaubert!"
Goethe allerdings folgte der Einladung nie.
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