Die Leitung
schaltet auf besetzt. Ich wähle neu. Besetzt. Zum Glück gibt es zwei
Nummern bei der »Canon«. Ich wähle die zweite. Niemand geht ans
Telefon. Ich wähle die erste. Besetzt. Ich verschiebe den Hund auf
später. Ich bin immer noch stark wie ein Bär. Mit dem Hund werde ich
schon noch fertig werden.
Es klingelt. Das sollte der Schreiner sein. Die Fenster schließen nicht
mehr. Die ersten sechs Schreiner haben den Auftrag jeweils
freudestrahlend angenommen und sind dann spurlos verschwunden. Der
siebte hatte mehr als zuverlässig gewirkt: Statt eines Schnurrbarts
trug er eine Brille. »Am Montag um neun bin ich da«, hatte er gesagt.
»Punkt neun!«
Ich öffne die Tür, und mein Herz ist voller Hoffnung. Zwei Männer vom
Gesundheitsamt stürmen herein, riesige Sprühgeräte in den Händen.
Sie desinfizieren die Wohnung. Die Dinger sind lauter als jeder Presslufthammer.
Gift wabert durch die Räume. Ich halte mir die Ohren zu und stelle das
Atmen ein. Die Küchenschaben flüchten ans Licht und sterben. Es ist
schön, wie der Staat über die Gesundheit der Genossen wacht, aber
hinterher fehlt mein Feuerzeug. Schwamm drüber! Ich bin stark wie ein
Bär. Der Schreiner wird wohl nicht mehr kommen. Der Klempner auch
nicht. Der kommt seit sechs Wochen nicht. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung.
Ich rufe die »Canon« an. »Worum handelt es sich?«
»Ich habe schon vor einer halben Stunde angerufen, aber ...« »Einen
Augenblick bitte!« Nach fünf Minuten kommt das Besetztzeichen und
übertönt den Hund. Ich streiche die »Canon« vom Tagesplan. Auch in
der Planwirtschaft ist schließlich Flexibilität gefragt. Die Badewanne
ist schmutzig. Sehr schmutzig. Ich brauche ein Putzmittel. Außerdem
brauche ich ein Feuerzeug, denn ich bin starker Raucher. Ich gehe
hinunter auf die Straße. Der Wagen ist noch da, aber er springt nicht
an. Der Mechaniker ist aufs Land gefahren. Er kommt vielleicht morgen
zurück, sagt seine Frau. Ich kaufe ein Feuerzeug. Putz-mittel gibt es
nicht. Schwamm drüber, dann bleibt sie eben dreckig, die Badewanne.
Baden kann ich so oder so nicht, denn der Stöpsel fehlt. Stöpsel gibt
es auch nicht.
Ich rufe den Schriftstellerverband an, um einen Interview-Termin zu
bekommen. »Selbst-verständlich! Das ist überhaupt kein Problem«,
sagt die Dame. »Und wann?« »Wann?« »Ja, wann? Wann können wir das
Interview machen?« »Das muss ich ihn fragen. Er ist noch nicht da.
Sobald ich einen Termin habe, rufe ich Sie an.« Der Mann im
Tourismus-Ministerium, mit dem ich sprechen möchte, ist in einer
Versammlung. Sie rufen zurück. Die Dame im Film-Institut, mit der ich
sprechen möchte, ist in einem Meeting. Sie rufen zurück. Der Hund im
Telefon knurrt immer lauter. Ich rufe doch wieder die »Canon« an.
»Einen Augenblick, bitte!«
»Hören Sie ...« Sie ist schon weg. Drei Minuten vergehen. Sie
tratschen immer noch. »Worum handelt es sich? Kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, Sie können mir helfen, aber nur, wenn Sie mir einen Moment
zuhören.« »Einen Augenblick, bitte!« Drei Minuten vergehen, dann
kommt das Besetztzeichen. Ich bin nicht mehr ganz so stark wie noch vor
drei Stunden. Ich verstaue das Telefax-Gerät in einer Tasche und fahre
mit dem Taxi zur »Canon«. Alle sitzen draußen im Vorhof im Schatten,
rauchen und ruhen sich aus. Die Computer sind ausgefallen. Ich fahre
wieder zurück.
Um ein Uhr kommt Aracelis. Seit Mitternacht hat sie Schlange gestanden,
um ein Busticket nach Moa zu ergattern. Der Opa muss nach Moa. Vor zwei
Stunden hat ihr der Beamte gesagt, dass Tickets nach Moa nicht mehr
montags verkauft werden, sondern donnerstags. Der Rest der Zeit ist für
den Rückweg draufgegangen.
»Liebling, wir müssen stark sein!« sage ich. »Stark wie Bären.«
Sie geht. Sie muss zum Busbahnhof und einen Fahrer überreden, dass er
vier Kilo Kichererbsen mitnimmt. Ihre Mutter wohnt im fernen Osten, in
Santiago de Cuba, und da gibt es keine Kichererbsen. Den Busfahrern ist
das Befördern von Kicher- und anderen Erbsen verboten, aber die Post
braucht zu lange. Bis sie ankommt, sind die Dinger von diesen kleinen
Würmchen zu Mehl verarbeitet.
Ich rufe das Film-Institut an. »Ja, sie war da, aber sie ist wieder
weggegangen.« »Und warum haben Sie mich nicht angerufen?« »Ich war
beim Mittagessen.«
Ich rufe den Schriftstellerverband an. »Er ist jetzt beim Mittagessen.
Gewöhnlich kommt er danach nicht mehr ins Büro. Versuchen Sie es
morgen wieder!« »Würden Sie mich bitte anrufen, wenn Sie ihn sehen?«
»Selbstverständlich!« Ich rufe das Tourismus-Ministerium an.
»Tut mir leid, das Meeting dauert den ganzen Tag.«
Das Haus, in dem ich wohne, droht bei jedem stärkeren Regen
einzustürzen. Die Hinweise der Bewohner bei den zuständigen Stellen
bleiben seit elf Jahren erfolglos. Das Gröbste könnte ich selber
beheben, denn ich kann ein bisschen mauern. Seit Monaten bin ich auf der
Jagd nach Sand, Zement und Kalk. Das Telefon klingelt. »Willst du den
Sand immer noch?«
»Natürlich.«
»Ich bringe ihn in einer halben Stunde vorbei. Es sind 20 Pfund. Das
wären vier Dollar. Schau zu, dass» du es klein hast.«
Ich habe Hunger. Meine Nachbarn verkaufen Essen in Pappschachteln. Ich
gehe runter auf die Straße. »Es wird ein Weilchen dauern. Der Reis ist
noch nicht gar.« Ein cubanisches Weilchen entspricht 45 bis 75 Minuten,
das ist wissenschaftlich nachgewiesen.
»Macht nichts! Drück einfach auf meine Klingel, wenn es fertig ist,
dann lasse ich die Tasche runter.«
Ich steige wieder in den vierten Stock. Ich bin gerade noch so stark wie
ein Teddybär, aber das hat sicher mit dem Hunger zu tun. Niemand hat
zurückgerufen. Ich bin zwar geschwächt, aber zäh wie ein Terrier und
beginne die Runde zum dritten Mal. Ich könnte zäh wie Leder sein, es
würde mir auch nichts helfen. Inzwischen geht niemand mehr ans Telefon,
denn es ist kurz vor vier. Der Mann mit dem Sand ist dann doch nicht
gekommen, und meine Nachbarn, die mit dem Essen, haben mich vergessen.
Dafür ist Aracelis zurück. Sie hat zweieinhalb Stunden auf den
Busfahrer gewartet, aber der hat den Kopf geschüttelt. »Heute geht es
nicht. Der Chef ist da.«
Ich sage mir, dass morgen auch noch ein Tag ist, und in einer halben
Stunde fängt im Fernsehen die Übertragung des Baseball-Spiels an. Ich
mag Baseball, obwohl ich Deutscher bin. Und Live-Sendungen mag ich auch.
Ich stelle den Fernseher an. Der Staatschef spricht. Das Spiel wird
nicht übertragen.
»Ari«, sage ich, »ich habe alles erledigt. Ich bin fertig, fix und
fertig. Kommst du mit zum Chinesen?« |