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Sandino-Museum in Managua |
Nubia Arcia
sitzt auf ihrer Terrasse in Managua und erzählt. Vor unseren Augen baut sich der nächtliche Regenwald auf, durch den 25 junge Leute stolpern, zwischen
Mangrovensümpfen und über armdicke knotige Baumwurzeln, bereit zum Sturm auf die Festung San Carlos, bewaffnet mit einem Maschinengewehr und ein paar
einfachen Waffen.
Das geschah 1977, das ist eine Ewigkeit her: und es ist immer noch spannend. Drei Frauen kämpften damals bei diesem Einsatz mit den aufständischen
Sandinisten gegen das Somoza- Regime, und darunter: Nubia Arcia.
Revolution, das ist für Nicaragua ein ziemlich gebräuchliches Wort. Seit Daniel Ortega, der erste sandinistische Präsident nach dem
Sturz des Diktators Somoza, wieder im Amt ist (seit 2006), kursieren, um es diplomatisch auszudrücken, verschiedene Versionen davon, was Revolution
eigentlich zu sein hat. Bleiben wir also bei den Tourismusinitativen und dabei, dass die Bibel der unabhängig Reisenden, der Lonely Planet, Nicaragua zu
einem der
Top-Reiseziele für 2011 gekürt hat. Der Drink, der kredenzt wird, ist schon ziemlich hitverdächtig: Flor de Caña-Rum, Passionsfrucht und Limone. Managua
allerdings, Managua ist es sicherlich nicht.
Keiner macht sich etwas vor: Nicaragua mag so schön, karibisch und abwechslungsreich sein wie sein Nachbarland Costa Rica, wie alle
unermüdlich versichern, mit Vulkanen und Seen, der gleichen üppigen Flora und Fauna, den Stränden und sogar Kolonialstädten – nur: um den Tourismus hat
sich in dem von jahrelangen Bürgerkriegen geschüttelten Land niemand gekümmert. Die Infrastruktur fehlt. Oder nicht?
Propagiert wird jetzt der nachhaltige Tourismus. Der wird praktischerweise der sozialistischen Revolution zugeschlagen. Man hätte ihn
gerne von Nutzen für die eigene Bevölkerung, nicht von Nutzen für die internationalen Hotelketten wie in den kapitalistischen Ländern. Er soll
langfristig Arbeitsplätze schaffen, sozial sein und die Natur schützen.
Das ist nicht neu und keinesfalls eine Erfindung des Sozialismus, möchte man entgegnen, eher im Gegenteil, denken wir an den
Strandtourismus in Varadero im ideologischen Bruderstaat Kuba. Aber eine gute Strategie ist das auf jeden Fall. Und wenn der Tourismus Nicaraguaner in
Arbeit und Brot stellt, umso besser. Denn das Land steht wirtschaftlich schlecht da. Es hängt von ausländischer Wirtschaftshilfe und von den remesas ab,
Geld, das die im Ausland lebenden und arbeitenden Nicaraguaner ihren Familien zurückschicken. Drei Millionen, so werden geschätzt, schuften allein im
Nachbarland Costa Rica auf den Obstplantagen, viele auch in den USA.
Der Ausgangspunkt der Entdeckungsreise, die 1,5 Millionen–Hauptstadt Nicaraguas Managua, ist nicht schön. Das
Viertel, in dem Nubia Arcia wohnt, wirkt wie ein gepflegter Villenvorort, liegt aber mitten in der Stadt und einen Steinwurf entfernt von weniger
schönen Vierteln mit schlammigen, schäbigen Wegen, in denen die Wasserversorgung nicht funktioniert und die Telefonleitungen permanent ausfallen. Das
disparate Erscheinungsbild ist Folge eines Erdbebens, das 1972 die Stadt regelrecht zerriss. Ganze Wohnviertel wurden vernichtet, nie sind sie wieder
aufgebaut worden. |
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Ausgebrannte Kathedrale an Plaza |
Seitdem besteht die Hauptstadt aus vielen unverbundenen Teilen. Wo sich
Lücken zwischen ehemaligen Straßenzügen auftun, schießt dankenswerterweise tropischer Wald in die Höhe. Die in Kolonialzeiten erbaute Kathedrale an
Plaza und am Innenstadtpark brannte komplett aus – und so steht sie bis heute da, mit schwarzen Fensterhöhlen und Palmen in der Apsis: ein Mahnmal.
Managuas weit auseinander gezogene Fläche stellt Ansprüche an den Spaziergänger, die schwülheißen Temperaturen tun ihr Übriges. Saubere
Straßenschneisen, durch Rotunden strukturiert, schneiden durch das moderne Stadtgefüge. Das neue Zentrum setzt wenige eigene Akzente: Gepflegte
Restaurants, helle Shopping-Malls, einige Hotelkästen, Tankstellen, kaum Fußgängerwege, alles eher US-amerikanisch und mit Aircondition gekühlt.
Dorthin schickt man uns, weil keiner will, dass wir denken, die Hauptstadt sei rückständig. Was sie aus anderem Grund sowieso nicht ist: Die Kulturszene
ist intellektuell und lebendig.
Bruchstücke des alten Managua findet man am Seeufer, zu Füßen des Vulkans Mombacho. Ein Kasino im Sechziger-Jahre-Design liegt
eingerahmt von ein paar abgetakelten Ausflugsrestaurants; dazwischen wuchern Grasflächen, in denen Kühe weiden. Die Polizei, um unsere Sicherheit
besorgt, meint, wir sollten hier nicht spazieren. Und zu abendlicher Stunde schon gar nicht. Das Viertel am See hat seinen guten Ruf eingebüßt.
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Palmenbestandene Plätze in Granada |
Das eine Autostunde von Managua entfernte Granada ist kolonial-stilistische
Perle und schönste Stadt des Landes mit weiten, palmenbestandenen Plätzen. Hier konkretisiert sich allerdings gerade das Gegenteil vom
nachhaltig-sozialen Tourismus, will man den Gerüchten glauben, die in seinen schmalen Straßen kursieren. Ausverkauft werde die Stadt, die schönen alten
Häuser an Ausländer verscherbelt, die sie kunstvoll und aufwändig restaurierten und in Hotels, Cafés und Restaurants umwandelten oder einfach darin
wohnten.
Dann bliebe kein Platz für die stimmungsvollen, aus einem einzigen Zimmer bestehenden Tabakmanufakturen, in denen eine Zigarette aus
einem Blatt gerollt und für nicht mal einen Dollar verkauft wird. Oder für die Hausfrauen, die ihre selbstgebackenen Kuchen in ihren Wohnzimmern
feilbieten, an offenen, fast bis auf Straßenniveau gezogenen Tür-Fenstern, wie sie für das karibische Kolonialstilhaus so typisch sind. Gegen
dollarschwere Konkurrenz hätten die heutigen Mieter
nie eine Chance.
Besuchen wir die Ruta del Café. Sie ist zwar noch nicht ganz zu Ende gedacht, aber Kaffee ist drittwichtigste Einnahmequelle Nicaraguas
– das Land stellt seine natürliche Kaffeeroute von ganz allein. Die Route verbindet mehrere kleine Ortschaften und Kaffeeanbauplantagen in der bergigen
kühlen Landesmitte, die von Kooperativen und Projektinitiativen bewirtschaftet werden.
Die Landstraße führt in etwa dreieinhalb Stunden in den Norden nach Matagalpa und Jinotega. Die Flüsse sind wegen heftiger Regenfälle über die Ufer
getreten, Sturzbäche sprudeln über abschüssige Wege. Ohne Gummistiefel ist man in den dichten Wäldern schlicht schlecht dran, die kaufen wir in den
budenartigen Geschäften von Matagalpa, die bunt und dichtgedrängt die lebhafte Hauptdurchgangsstraße säumen. |
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Rosquío-Bäckerei |
Weiter geht es durch eine mit ordentlichen Feldern bedeckte Hügellandschaft.
Vor Jinotega preisen Obst- und Gemüsebauern ihre Produkte an: Kirschen, Mangos, Staudensellerie, Limonen und Kartoffeln. Das ruhige
65.000-Einwohner-Städtchen strahlt vor ländlicher Sauberkeit. Die rechtwinklig angelegten Straßen erinnern an die spanische Kolonialzeit, in der dieses
Straßenmuster für alle Dörfer eingeführt wurde, die Häuser sind niedrig gebaut und hell gestrichen. Hier besuchen wir eine rosquío-Bäckerei. Rosquíos
sind staubtrockene Gebäckkringel mit einem Klacks Guaven-Marmelade in der Mitte. Jinotega ist für dieses Gebäck bekannt, und es wird überall im Land
gerne gekauft.
Die Kaffeekooperative Soopexca gehört zum Stolz von Jinotega: Kaffeeanbau zu fairen Löhnen, Garantieabnahme-summen für die Ernte, eine
eigene Schule, die Muchachitos del Café, mit Ausbildung und Fortbildung für die Kinder aus den 17 Kooperativen, die sich zu Soopexca zusammen
geschlossen haben. Marvin Raúl Talavera ist catador, Kaffeeprüfer, und er ist noch ziemlich jung. „Die erste Voraussetzung für meinen Beruf: ich muss
Kaffee mögen“, lacht er. Er trinkt 10-15 Tassen täglich, das sei das normale Pensum in der Kaffeeregion. „Wenn wir probieren, trinken wir 40-50 Tassen.
Auf unser Urteil sollte Verlass sein. Aber natürlich, es gibt auch Kontrolleure, die die Verkoster kontrollieren.“ Im Café der Kooperative bestellen wir
alle etwas Unterschiedliches: Cappucchino, Caffe latte, einen Moka Chino und einen Café Bonbon, ganz altmodisch mit reichlich Kondensmilch.
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