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Die Strategie stimmt schon mal

Über Wunsch und Wirklichkeit im Topreiseziel 2011 von Lonely Planet
Von Susanne Asal, Mai 2011

Sandino-Museum in Managua

Sandino-Museum in Managua

     Nubia Arcia sitzt auf ihrer Terrasse in Managua und erzählt. Vor unseren Augen baut sich der nächtliche Regenwald auf, durch den 25 junge Leute stolpern, zwischen Mangrovensümpfen und über armdicke knotige Baumwurzeln, bereit zum Sturm auf die Festung San Carlos, bewaffnet mit einem Maschinengewehr und ein paar einfachen Waffen.
Das geschah 1977, das ist eine Ewigkeit her: und es ist immer noch spannend. Drei Frauen kämpften damals bei diesem Einsatz mit den aufständischen Sandinisten gegen das Somoza- Regime, und darunter: Nubia Arcia.
     Revolution, das ist für Nicaragua ein ziemlich gebräuchliches Wort. Seit Daniel Ortega, der erste sandinistische Präsident nach dem Sturz des Diktators Somoza, wieder im Amt ist (seit 2006), kursieren, um es diplomatisch auszudrücken, verschiedene Versionen davon, was Revolution eigentlich zu sein hat. Bleiben wir also bei den Tourismusinitativen und dabei, dass die Bibel der unabhängig Reisenden, der Lonely Planet, Nicaragua zu einem der
Top-Reiseziele für 2011 gekürt hat. Der Drink, der kredenzt wird, ist schon ziemlich hitverdächtig: Flor de Caña-Rum, Passionsfrucht und Limone. Managua allerdings, Managua ist es sicherlich nicht.
     Keiner macht sich etwas vor: Nicaragua mag so schön, karibisch und abwechslungsreich sein wie sein Nachbarland Costa Rica, wie alle unermüdlich versichern, mit Vulkanen und Seen, der gleichen üppigen Flora und Fauna, den Stränden und sogar Kolonialstädten – nur: um den Tourismus hat sich in dem von jahrelangen Bürgerkriegen geschüttelten Land niemand gekümmert. Die Infrastruktur fehlt. Oder nicht?
     Propagiert wird jetzt der nachhaltige Tourismus. Der wird praktischerweise der sozialistischen Revolution zugeschlagen. Man hätte ihn gerne von Nutzen für die eigene Bevölkerung, nicht von Nutzen für die internationalen Hotelketten wie in den kapitalistischen Ländern. Er soll langfristig Arbeitsplätze schaffen, sozial sein und die Natur schützen.
     Das ist nicht neu und keinesfalls eine Erfindung des Sozialismus, möchte man entgegnen, eher im Gegenteil, denken wir an den Strandtourismus in Varadero im ideologischen Bruderstaat Kuba. Aber eine gute Strategie ist das auf jeden Fall. Und wenn der Tourismus Nicaraguaner in Arbeit und Brot stellt, umso besser. Denn das Land steht wirtschaftlich schlecht da. Es hängt von ausländischer Wirtschaftshilfe und von den remesas ab, Geld, das die im Ausland lebenden und arbeitenden Nicaraguaner ihren Familien zurückschicken. Drei Millionen, so werden geschätzt, schuften allein im Nachbarland Costa Rica auf den Obstplantagen, viele auch in den USA.
     Der Ausgangspunkt der Entdeckungsreise, die 1,5 Millionen–Hauptstadt Nicaraguas Managua, ist nicht schön.    Das Viertel, in dem Nubia Arcia wohnt, wirkt wie ein gepflegter Villenvorort, liegt aber mitten in der Stadt und einen Steinwurf entfernt von weniger schönen Vierteln mit schlammigen, schäbigen Wegen, in denen die Wasserversorgung nicht funktioniert und die Telefonleitungen permanent ausfallen. Das disparate Erscheinungsbild ist Folge eines Erdbebens, das 1972 die Stadt regelrecht zerriss. Ganze Wohnviertel wurden vernichtet, nie sind sie wieder  aufgebaut worden.

 Die ausgebrannte Kathedrale an Plaza

Ausgebrannte Kathedrale an Plaza

      Seitdem besteht die Hauptstadt aus vielen unverbundenen Teilen. Wo sich Lücken zwischen ehemaligen Straßenzügen auftun, schießt dankenswerterweise tropischer Wald in die Höhe. Die in Kolonialzeiten erbaute Kathedrale an Plaza und am Innenstadtpark brannte komplett aus – und so steht sie bis heute da, mit schwarzen Fensterhöhlen und Palmen in der Apsis: ein Mahnmal.
     Managuas weit auseinander gezogene Fläche stellt Ansprüche an den Spaziergänger, die schwülheißen Temperaturen tun ihr Übriges. Saubere Straßenschneisen, durch Rotunden strukturiert, schneiden durch das moderne Stadtgefüge. Das neue Zentrum setzt wenige eigene Akzente: Gepflegte Restaurants, helle Shopping-Malls, einige Hotelkästen, Tankstellen, kaum Fußgängerwege, alles eher US-amerikanisch und mit Aircondition gekühlt.
Dorthin schickt man uns, weil keiner will, dass wir denken, die Hauptstadt sei rückständig. Was sie aus anderem Grund sowieso nicht ist: Die Kulturszene ist intellektuell und lebendig.
     Bruchstücke des alten Managua findet man am Seeufer, zu Füßen des Vulkans Mombacho. Ein Kasino im Sechziger-Jahre-Design liegt eingerahmt von ein paar abgetakelten Ausflugsrestaurants; dazwischen wuchern Grasflächen, in denen Kühe weiden. Die Polizei, um unsere Sicherheit besorgt, meint, wir sollten hier nicht spazieren. Und zu abendlicher Stunde schon gar nicht. Das Viertel am See hat seinen guten Ruf eingebüßt.
 

Der Klacks Guavenmarmelade macht’s

mit mächtigen Basaltbrocken versetzten Lagune

Palmenbestandene Plätze in Granada

     Das eine Autostunde von Managua entfernte Granada ist kolonial-stilistische Perle und schönste Stadt des Landes mit weiten, palmenbestandenen Plätzen. Hier konkretisiert sich allerdings gerade das Gegenteil vom nachhaltig-sozialen Tourismus, will man den Gerüchten glauben, die in seinen schmalen Straßen kursieren. Ausverkauft werde die Stadt, die schönen alten Häuser an Ausländer verscherbelt, die sie kunstvoll und aufwändig restaurierten und in Hotels, Cafés und Restaurants umwandelten oder einfach darin wohnten.
     Dann bliebe kein Platz für die stimmungsvollen, aus einem einzigen Zimmer bestehenden Tabakmanufakturen, in denen eine Zigarette aus einem Blatt gerollt und für nicht mal einen Dollar verkauft wird. Oder für die Hausfrauen, die ihre selbstgebackenen Kuchen in ihren Wohnzimmern feilbieten, an offenen, fast bis auf Straßenniveau gezogenen Tür-Fenstern, wie sie für das karibische Kolonialstilhaus so typisch sind. Gegen dollarschwere Konkurrenz hätten die heutigen Mieter
nie eine Chance.
     Besuchen wir die Ruta del Café. Sie ist zwar noch nicht ganz zu Ende gedacht, aber Kaffee ist drittwichtigste Einnahmequelle Nicaraguas – das Land stellt seine natürliche Kaffeeroute von ganz allein. Die Route verbindet mehrere kleine Ortschaften und Kaffeeanbauplantagen in der bergigen kühlen Landesmitte, die von Kooperativen und Projektinitiativen bewirtschaftet werden.
Die Landstraße führt in etwa dreieinhalb Stunden in den Norden nach Matagalpa und Jinotega. Die Flüsse sind wegen heftiger Regenfälle über die Ufer getreten, Sturzbäche sprudeln über abschüssige Wege. Ohne Gummistiefel ist man in den dichten Wäldern schlicht schlecht dran, die kaufen wir in den budenartigen Geschäften von Matagalpa, die bunt und dichtgedrängt die lebhafte Hauptdurchgangsstraße säumen.

rosquío-Bäckerei

Rosquío-Bäckerei

     Weiter geht es durch eine mit ordentlichen Feldern bedeckte Hügellandschaft. Vor Jinotega preisen Obst- und Gemüsebauern ihre Produkte an: Kirschen, Mangos, Staudensellerie, Limonen und Kartoffeln. Das ruhige 65.000-Einwohner-Städtchen strahlt vor ländlicher Sauberkeit. Die rechtwinklig angelegten Straßen erinnern an die spanische Kolonialzeit, in der dieses Straßenmuster für alle Dörfer eingeführt wurde, die Häuser sind niedrig gebaut und hell gestrichen. Hier besuchen wir eine rosquío-Bäckerei. Rosquíos sind staubtrockene Gebäckkringel mit einem Klacks Guaven-Marmelade in der Mitte. Jinotega ist für dieses Gebäck bekannt, und es wird überall im Land gerne gekauft.
     Die Kaffeekooperative Soopexca gehört zum Stolz von Jinotega: Kaffeeanbau zu fairen Löhnen, Garantieabnahme-summen für die Ernte, eine eigene Schule, die Muchachitos del Café, mit Ausbildung und Fortbildung für die Kinder aus den 17 Kooperativen, die sich zu Soopexca zusammen geschlossen haben. Marvin Raúl Talavera ist catador, Kaffeeprüfer, und er ist noch ziemlich jung. „Die erste Voraussetzung für meinen Beruf: ich muss Kaffee mögen“, lacht er. Er trinkt 10-15 Tassen täglich, das sei das normale Pensum in der Kaffeeregion. „Wenn wir probieren, trinken wir 40-50 Tassen. Auf unser Urteil sollte Verlass sein. Aber natürlich, es gibt auch Kontrolleure, die die Verkoster kontrollieren.“ Im Café der Kooperative bestellen wir alle etwas Unterschiedliches: Cappucchino, Caffe latte, einen Moka Chino und einen Café Bonbon, ganz altmodisch mit reichlich Kondensmilch.
 

Faire Preise aus alter Solidarität

     Wo wir die Kaffeetassen bekommen können, die im besten Hotel von Jinotega verwendet werden, verrät die Rezeptionistin gerne. Es handelt sich um die in der Region verbreitete cerámica negra, die schwarze Keramik, und sie beschreibt uns den Weg zur Töpferin Lisa.
     Ihre Keramikwerkstatt entpuppt sich als ärmliche Bauernkate, vor dem Fernseher neben dem Kühlschrank sitzen die vier Töchter der Töpferin auf dem Sofa. Die bereits fertigen Tassen, Teller und Pokale hat sie in Zeitungspapier gewickelt, sie hat nicht einmal eine Töpferscheibe, alles formt sie mit der Hand. In die dunkelbraunen Tonwände ritzt Lisa stilisierte Kaffeebohnen, das sieht sehr dekorativ aus. Mit den Tassen allein verdient sie nicht viel: Auf ihrem Feld wachsen Ananas und Mais, picken Hühner.
     Hinter Jinotega geht es auf einer recht abenteuerlichen Straße an einzelnen Gehöften vorbei zum Weiler Yucul. Von dort ist es noch einmal eine Dreiviertelstunde hinauf zur Finca Esperanza Verde, die seit über einem Jahrzehnt das Etikett BioLatina für organisch angebauten Kaffee führt, ein Vorzeigeprojekt mit einem kleinen Gäste-Betrieb, der bereits Preise für nachhaltigen Tourismus gewonnen hat. Genau das Richtige für gestresste Managernerven, witzeln die Betreiber der Finca. Auf den weit geschwungenen Hügeln liegen einzelne Gäste-Bungalows, Spazierwege erschließen das Gelände, auf dem Tisch kommt vegetarische Kost.
     Auch auf der Finca Esperanza Verde wird mit Kaffeehändlern zusammengearbeitet, die faire Preise bezahlen. Meist kommen sie aus den USA, sind oft der Solidaritätsbewegung der 80er Jahre verbunden, als in Nicaragua die Sandinisten erstmals regierten. Auch hier wurde von den Einkünften eine kleine Schule eingerichtet. Ein Lehrer aus San Ramón stapft jeden Morgen den Weg hinauf in die Finca.
     Man kann hier den ganzen Tag in der Hängematte auf der Terrasse herumtrödeln, lesen und den Blick über die Landschaft genießen, man kann sich aber auch die Kaffeeplantagen zeigen lassen. Die Mehrzahl der Kaffeesträucher liegt im Schatten hochgewachsener Bäume, und dies ein natürlicher und nicht selbstverständlicher Luxus.
Von Schmetterlingen umflattert ersteigen wir am nächsten Tag auf einem angelegten Wanderpfad den Nebelwald voller Orchideen und Helikonien, baden in einem Wasserfallbassin und lassen später bei einbrechender Dämmerung von der Terrasse der Finca den Blick weit über Tal und Berge schweifen. Und loben sie dort, wo sie funktioniert – die internationale Solidarität.

 

 

 

 

 

 

Blick von der Finca Esperanza Verde.

Informationen

 

 

Finca Esperanza Verde
Apart. P # 28 Matagalpa/Nicaragua
Tel./Fax: 00505-772-5003
Reservations: fincaesperanzaverde@gmail.com
http://www.fincaesperanzaverde.org


Weitere Informationen über Nicaragua und Mittelamerika:
Nicaragua im Internet: http://www.visit-nicaragua.com
Mittelamerika im Internet: www.visitcentroamerica.com

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Stand: 14. Mai 2011
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