Spaghettis bei Korda
Der Fotograf des Jahrhundertfotos von Che Guevara war revolutionär und bonvivant. Erinnerungen an einen Besuch bei Alberto Diaz Gutierrez alias Korda, geboren 1928, gestorben im Mai 2001
Von Elke Krüger

Copyright © Elke Krüger: Alberto Korda

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Korda tänzelte, in Shirt und Shorts gekleidet, mit einem Sieb für die Spaghettis durch sein Wohnzimmer in Havanna Miramar, in dem nichts an sein berühmtes Portrait von Che Guevara erinnerte. Sein Glas Rum hatte er bereits abgestellt. Ein gutes Zeichen. Es hatte eine Stunde gedauert, bis die italienischen Nudeln die Instanzen seiner kubanischen Küche durchlaufen hatten. Vielleicht war das Wasser gerade abgestellt? Oder das Gas?

Hauptsache, der Zuckerrohrschnaps ging nicht aus. Im Haus des kubanischen Revolutionsfotografen hatten sich Gäste eingefunden: Zwei kubanische Models, Marisa und Matilde, und eine illustre kleine Schar von Europäern und Europäerinnen, die die Wahlen in Nicaragua beobachtet hatten und nun vor ihrer Rückreise in die Heimat in Kuba Zwischenstation machten. Es war das Jahr, in dem die Sandinistas die Wahlen verloren. Gesprächsthema Nummer eins: ihre Niederlage. Wobei sich Marisa und Matilde, die beiden Kubanerinnen, seltsamer Weise weniger überrascht zeigten als wir Europäer. Auf Kuba verfolgte man die Entwicklung der Revolution im mittelamerikanischen Nicaragua kritisch und unterstützte sie solidarisch. Trotzdem schienen die schwarzen Schönen das Aus der Revolutionäre erwartet zu haben. Wahlen ! Kuba konnte auf dreißig Jahre Revolution zurückblicken. Und zwar ohne Wahlen.

Der Anfang 60 jährige Korda, ausgemergelt wie eh und je, rauchte und trank, schwätzte aufgeregt, umflattert von seiner gut zwanzigjährigen Lebensbegleiterin. Porzellanfarbener Teint, von Beruf Schauspielerin ­ den einst mit Modefotografie zu Ruhm gelangten Korda hatten schöne Frauen von jeher mehr interessiert als Politik, Revolution hin oder her. Aber natürlich war dieses Genre nach 1959 ­ im socialismo tropical ­ weniger gefragt.

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Endlich, die Spaghettis landeten auf den Tellern der Gäste. Während sich die Models redlich bemühten, uns Europäerinnen mit guten Manieren zu beeindrucken und die langen Nudeln minutenlang in vornehme Häppchen auf die Gabeln drehten, wollten wir wissen: Was hatte ihn eigentlich zur Revolutionsfotografie gebracht?

Vor der Revolution habe er schon immer auf der Straße fotografiert, gab er an. Den letzten Schub hätte ihm "dieses Mädchen, das ein Stück Holz im Arm 'mein Baby' nannte", gegeben. Viele Jahre später, 1997, sollte er sich auf dieses Schlüssel-Erlebnis noch einmal in dem italienischen Fotoband "Alberto Korda ­ Diario de una Revolución" (Edizioni Aurora) beziehen. Handschriftlich notierte er da neben das Mädchen-Foto: "Sie überzeugte mich, für die Revolution zu arbeiten, damit diese gesellschaftlichen Ungleichheiten ein Ende finden."

In unserer Runde plauderte er dann doch aus dem Nähkästchen. Im Grunde hätte er seine Karriere als Revolutionsfotograf der Untreue seiner ersten Frau zu verdanken: Natalia Menendez ­ in revolutionären Kreisen auch als schöne Kämpferin Nokia bekannt. Sie war in den 50er Jahren sein Lieblingsmodel gewesen. Fidel Castro persönlich spannte ihm die Frau aus. In den 60er Jahren nutzte sie dann als erstes kubanisches Model überhaupt die internationalen Laufstege, um die Revolution in die Welt zu tragen. Ihr Frontwechsel führte angeblich zu keinen weiteren Spannungen zwischen beiden Männern. Im Gegenteil: Fidel Castro dankte Korda auf seine Weise und machte ihn zu seinem persönlichen Fotografen.

Zehn Jahre begleitete Korda den Máximo Lider auf all seinen Reisen. Dabei schoss er spektakuläre und weniger spektakuläre Bilder. "Das Foto von Ernesto Che Guevara entstand eher zufällig", erzählte Korda. Die Revolution war gerade ein Jahr alt, da flog im Hafen von Havanna der mit 70 Tonnen Waffen und Munition aus Belgien beladene französische Frachter "La Coubre" in die Luft. Druckwelle, herumfliegende Wrackteile und Metallsplitter töteten 136 Menschen. Man vermutete Sabotage. Bei der Trauerfeier sprach Fidel Castro stundenlang und Alberto Diaz Korda, damals Cheffotograf der Zeitung "Revolución", hatte viel Zeit. Bei einem Schwenk über die Tribüne bekam er Che Guevara in den Sucher. "Instinktiv" hätte er auf den Auslöser gedrückt, denn dieser "Ausdruck von Zorn und Entschlossenheit" sei ihm "unter die Haut gegangen". Was er nicht ahnte: Dass er das Foto geschossen hatte, das nach dem Tod des "Guerillero Heroico" 1967 weltweit am meisten gedruckt werden sollte.

In diesen 60er Jahren war Korda immer dicht dran: Che mit nacktem Oberkörper beim Angeln; Che im Kampfanzug bei dem ungeschickten Versuch, einen Golfball ins Loch zu schieben; bei einem Stelldichein mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Oder Fidel: mit Bauchansatz bei der Zuckerrohrernte; Fidel ­ Familie Chrutschow fotografierend; Fidel am Boden; Fidel vor einem Abgrund; Fidel und Che beim Schachspielen ­ Korda zeigte neben der offiziellen immer auch die menschliche Seite der beiden Revolutionshelden.

Derweil war der Inhalt auf unseren Tellern fast so schnell geschrumpft wie der in den Rumflaschen. Mit leuchtenden Augen und unter Aufbietung großer Körperbeherrschung erhoben sich die Grazien Marisa und Matilde, als wollten sie uns an ihre Gegenwart erinnern. Revolution hin oder her ­ was für unseren Gastgeber galt, galt für sie noch viel mehr. Models und Mode - nach dem Fall des eisernen Vorhangs hatte man auf der Zuckerinsel auch den Laufsteg wieder entdeckt. Gut für Korda, der es sich nicht nehmen ließ, bei dem ein oder anderen Event wieder zu fotografieren, wo nicht das Volk Modell stand. Und die ein oder andere Schönheit zum Abendessen einzuladen. Marisa und Matilde hatten dankend angenommen. Schon wegen uns. Paris, New York... man konnte ja nie wissen, welche hilfreichen Connections diese Europäerinnen zu bieten hatten. Sie kamen ja von der Insel nicht runter.

Rum und Rumba, und feste Nahrung in den Magen. Die Interessenlage in unserer Runde veränderte sich rasch zugunsten ziemlich unpolitischer Anliegen. Marisa versetzte einen Journalisten aus Paris mit ihren fünf Bröckchen Französisch sehr erfolgreich in Verzückung. Ein Fotograf aus Spanien führte wirre Monologe, und ein Exilchilene probierte es bei seiner schönen Nachbarin. Wie zufällig streifte er beim Aufstehen seine Fingerspitzen ihren Rücken. Es klappte: Sie erschauderte. Wer schließlich am Ende mit wem und wie in welchem Hotel landete, das vermag heute niemand mehr mit Sicherheit zu sagen.

Nachruf für eine Legende
Copyright © Elke Krüger: Alberto Korda

Alberto Korda, geboren am 14.9.1928, erlag 72jährig am 25.5.2001 in Paris einem Herzinfarkt, wo er gerade eine Ausstellung für 2002 vorbereitete. Sein berühmtes Foto von Che Guevara war das meist reproduzierte Bild der Fotogeschichte. Er schoss es am 5.März 1960 mit seiner Leica-Kamera, verbannte dann mit einem Retuschepinsel alle anderen Personen auf dem Foto und ließ es unbeachtet in der Redaktion der Zeitung "Revolución", wo es ein Bildredakteur in sein Studio mitnahm und dort an die Wand hängte. Jahre später, 1967, fand es dort der italienische Verleger Giacomo Feltrinelli. Da er sich mit einem Schreiben der Regierung als Freund der Revolution ausweisen konnte, überließ ihm Korda zwei Kopien des Fotos.

1967, als die Nachricht von Che Guevara's Tod durch die Weltpresse ging, druckte Feltrinelli Poster von dem Foto und setzte damit einen einzigartigen Personenkult in Gang. Das Poster des Vordenkers der kubanischen Revolution schmückte bald jede Studentenbude. Obwohl die Verwertung des Fotos schließlich in die Abermillionen ging, erhielt Korda nie einen Cent. Eine Tatsache, die ihn angeblich nicht störte. In einem Interview behauptete er: "Millionär bin ich, weil ich in diesem schönen Land lebe, mit einer so schönen Revolution, die Schluss gemacht hat mit den Kindern, die nichts zu essen hatten, mit den Menschen, die kein Geld hatten, um einen Arzt zu bezahlen, mit jenen, die kein Geld für eine Ausbildung hatten. All diese Sachen, die unsere Revolution in vierzig Jahren erreicht hat, machen mich glücklich." Als eine britische Agentur mit dem Che-Foto für Woody Bloody Wodka wirbt, aber klagt er ­ mit Erfolg. Seinen letzten großen Auftritt als Fotograf hatte Korda 1998 beim Besuch des Papstes auf Kuba.


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Stand: 20. August 2005
 

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