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Blick in das dominikanische Zentralgebirge |
Der lange
Aufstieg beginnt im Gewächshaus. Tropische Schwüle legt sich wie ein Film auf die Haut, verwandelt Hemd und Hose in feuchte Lappen und lässt die
hochalpine Bergausrüstung lächerlich aussehen. Eine glitschige Trasse aus Schlammschwellen und tiefen Pfützen, von Regen und Mulihufen geformt, zieht
sich am Fuß des Berges entlang. Hier sind Flora und Fauna am vielfältigsten, die Wärme ist am größten und auch das Staunen. Wie aus einer anderen Zeit
ragen Riesenfarne in den schmalen Weg hinein, Kolibris flattern zwischen wildem Zuckerrohr umher. Lautes Kreischen ganzer Schwärme leuchtend grüner
Papageien und das Pfeifen scheuer Todys - kleiner, grüner Vögel mit roten Schnäbeln - machen die Illusion vom künstlich angelegten Konzentrat sämtlicher
endemischer Pflanzen und Tiere der Dominikanischen Republik in einem tropischen Erlebnispark perfekt. Doch dabei wird es nicht bleiben. Denn durch alle
Vegetationsstufen und Klimazonen führt der Aufstieg auf den höchsten Berg der Karibik, den mehr als dreitausend Meter hohen Pico Duarte.
Schon die Fahrt nach Jarabacoa auf sechshundert Meter Höhe, ein Wochenendrefugium betuchter Dominikaner mit kleinen Hotels und Lodges, ruft
widersprüchliche Gefühle hervor. Wäsche trocknet auf Stacheldrahtzäunen vor netten, pastellfarbenen Holzhäuschen, Bananenplantagen, Felder voller
Flaschenkürbisse und Weinberge suggerieren Idyll - wenn da nicht die vielen durchlöcherten Straßenschilder wären, von herumballernden Vogeljägern oder
Jugendgangs mit dem Gewehr perforiert. "Sport", grinst Rudi Baumer aus Wien, der seit acht Jahren in der Dominikanischen Republik lebt und verschiedene
Outdoor-Erlebnisse auf seiner Rancho Cascada anbietet. Dreihundert Urlauber hat der Bergführer schon zum Gipfel des Pico Duarte gebracht. Zumindest
beruhigt er unsere kleine Trekkinggruppe mit dem Versprechen, dass es in den dichten Wäldern der Kordilleren garantiert keine gefährlichen Tiere gebe.
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Neue
Vermessung eines Giganten |
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Klarer Gebirgsbach auf rund 1500 m über dem Meer |
Drei
Tage lang werden wir unterwegs sein auf dieser ungewöhnlichen Bergtour, die zwar in europäische Hochgebirgsstufen führt, jedoch nur selten einem alpinen
Aufstieg ähnelt. Der Pico Duarte ist majestätischer Mittelpunkt der zweihundertfünfzig Kilometer langen, nahezu unbesiedelten Gebirgskette der
Zentralkordilleren und überragt mit seinen 3098 Metern alle anderen Gipfel. Seinen Zwillingsberg Loma La Pelona in anderthalb Kilometern Entfernung
übertrifft er allerdings nur um vier Meter. Das behauptet zumindest der amerikanische Geologe Kenneth Orvis, der den Pico Duarte vor drei Jahren per GPS
neu vermessen hat. Bis dahin galt die Höhenangabe von 3175 Metern seines ersten Bezwingers, des britischen Gesandten Robert H. Schomburgk, als
authentisch. Bis zum Gipfel werden wir einen Höhenunterschied von fast zweitausend Metern bewältigt und mit dem Abstieg eine Strecke von knapp fünfzig
Kilometern zurückgelegt haben.
Am Eingang zum Nationalpark La Cienega auf 1100 Metern treffen wir die Treiber, die hier Guides genannt werden, und ihre Maultiere. Die Gepäckmulis
sollen auch als Reittiere dienen, falls sich jemand den Fuß verstaucht oder erschöpft ist. Francisco, Marcelino, Julio César und Rafael gehören die
Mulis nicht. Fünfzehntausend Pesos für ein Maultier könnten sie sich nicht leisten, sagt Francisco, der fünf Kinder hat und sonst nur wenig. Mit
ausgelatschten und aufgeschlitzten Turnschuhen laufen sie neben den Mulis Josefina, Paloma, Estefanio oder Ludovino her, bis hoch zum Gipfel, so
leichtfüßig und behende wie die grauen Vierbeiner, während die deutschen Tourengeher trotz Teleskopstöcken, Trekkinghose, Rucksack mit integriertem
Trinkschlauch und gedämpften Bergstiefeln vergleichsweise mühsam vorankommen. Wenn sie nicht für eine Bergtour gebucht werden, arbeiten die Guides als
Bauern und pflanzen Yucca und Kürbisse auf dem fruchtbaren, wohl hundert Millionen Jahre alten Vulkanboden. Unter ständigen "mulo, mulo"-Rufen spornen
die Treiber ihre Mulis jetzt an. Auf klapprigen Hängebrücken überqueren wir kleine Gebirgsbäche, die bald in den Río Yaque del Norte münden. Beim
Abstieg werden wir uns dankbar in diesen erfrischenden Natur-Whirlpool stürzen.
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Trittfeste
Josefina |
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Unterwegs auf holprigen Pfaden |
In
endlosen Serpentinen windet sich der Weg jetzt durch dichte Laub- und Kiefernwälder, die nur selten den Blick auf die umliegenden Berge freigeben.
Selbst erprobte Alpinisten müssen bald der ungewohnten Hitze und hohen Luftfeuchtigkeit Tribut zollen. Auch die Zeitverschiebung macht zu schaffen. Doch
die Hoffnung, dass es sich auf dem Rücken eines Maultieres viel kommoder bergauf balanciere, erweist sich als trügerisch. Schmalbeinig bahnt es sich den
besten Weg über Felsbrocken und Wurzeln durch die tief ausgewaschene Lehmrinne. Schon jetzt schwant dem Reiter, wie höllisch er erst beim Abstieg durch
diesen rutschigen Canyon aufpassen muss. Den Sattelknauf fest umklammernd, brüllt er ein um das andere Mal ein banges "cuidado" - Vorsicht - in die
langen Ohren des Reittiers. Doch dienen die Zurufe eher der eigenen Ermutigung als der Trittfestigkeit der zähen Josefina, denn die Mulis kennen den Weg
aus dem Effeff und überhören geflissentlich die panischen Appelle.
Nach einer Weile wird selbst das Balancieren auf dem schwankenden Maulesel so mühsam, dass der Kampf um jeden Meter Höhe aus eigener Kraft dem
unbequemen Ritt vorzuziehen ist. Zumindest war die Angst vor der Höhenangst unbegründet, da der schmale Weg zwar steil nach oben, aber nie an einem
schroffen Abbruch entlangführt. Eine Ewigkeit später erreichen wir den höchsten Punkt des ersten Tages: Aguita Fría auf 2650 Meter Höhe, eine Quelle,
die fast auf dem Gebirgskamm liegt. Es ist eine Wetterscheide, von der alles Wasser nach Norden in den Atlantik und nach Süden in die Karibische See
abfließt. Pause für Mensch und Muli - und eine neue Motivation, denn von nun an geht es erst einmal wieder bergab. Endlich ist der Kopf frei, um die
Aussicht wahrzunehmen. Ein Blitz ist im vergangenen Jahr in den Kiefernwald eingeschlagen und hat ein riesiges Areal entzündet. Wie Mahnmale strecken
sich die verkohlten Stämme in den Himmel. Doch das rasch nachwachsende Jungholz wird die immense Zerstörung in ein paar Jahren gnädig verhüllen.
Noch ein paar Stunden später erwartet uns dann endlich der wohl schönste Blick des Tages: die grüne Berghütte La Compartición, ausgestattet mit
Wellblechdach und Schlafräumen bar jeglichen Mobiliars für Gäste und Guides. Riesige Schilder des Umweltministeriums mahnen, weder Müll zu hinterlassen
noch laute Musik zu spielen. Zwei absurde Telefonzellen simulieren den Kontakt zur Außenwelt, doch sind sie schon lange außer Betrieb wie auch der
ausgetrocknete Ziehbrunnen. Noch einmal raffen wir uns auf, um in der kalten Quelle tief unterhalb der Hütte zu baden.
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Großartige
dominikanische Nationalparks |
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Nationalpark Los Haitises |
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Zwischen hundert und
hundertfünfzig Kilometer Luftlinie, doch gefühlte Lichtjahre entfernt liegen die Strände am Atlantik und am Karibischen Meer mit ihrem hohen
Spaßfaktor. Wenige Urlauber in den All-inclusive-Anlagen ahnen, dass ihre "Dom Rep" in Wahrheit ein Naturparadies ist: dass es nur einige
Kilometer außerhalb der Touristenzentren mehr als dreißig Nationalparks wie den Parque Nacional Los Haitises mit Grotten voller
Höhlenzeichnungen gibt, dazu pittoreske Dörfer und die dichtbewaldeten Berge der Zentralkordilleren mit Wasserfällen und Gebirgsbächen; und
dass man auf der Insel noch andere Sportarten als Kampftrinken ausüben kann, etwa Kanufahren, Rafting, Canyoning, Mountainbiking und
Trekking. Es ist nicht überliefert, ob sich Kolumbus bis ins Gebirge vorgewagt hat, doch als er die Karibikinsel zum ersten Mal erblickte,
rief er aus: "Das ist das Schönste, was das menschliche Auge je gesehen hat." |
In
den All-inclusive-Anlagen rufen jetzt, am frühen Abend, die Animateure per Lautsprecher zum Merengue-Tanzkurs auf, um mehr oder weniger
gelenkigen Europäern den geschmeidigen Hüftschwung beizubringen. Bei uns, in 2450 Meter Höhe, bewegt sich nichts mehr. Schweigend sitzt die
achtköpfige Gruppe vor der langen, grünen Hütte und den beiden potemkinschen Telefonzellen. Anstrengend war der gut neunstündige Aufstieg
und schweißtreibend bei fünfunddreißig Grad. Hier oben ist die Luft herrlich klar, in der Nacht wird es dann sogar bis auf minus zwei Grad
abkühlen.
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Eiszapfen in frostiger Höhe
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Unsere
dominikanischen Guides pflocken die pflegeleichten Mulis an, die eine schwere Last heraufgeschleppt haben: Luftmatratzen, Schlafsäcke, Kühltaschen,
Wasserkanister, Proviant, manchmal auch Menschen. Zu steil war auf langen Strecken der ausgewaschene, steinige Hohlweg, zu hoch die Luftfeuchtigkeit, so
fern das Ziel der Tagesetappe. In einer kleinen Kochhütte machen Francisco, Rafael, Marcelino und Julio César auf einem archaischen Herd Mitgebrachtes
aus Dosen warm, angereichert mit frischen Yuccawurzeln. Vier Baumstämme dienen als Sitzgelegenheiten rund um ein Lagerfeuer, das als Licht- und
Wärmequelle entfacht wird. So schnell, wie die einzige Flasche Rum geleert ist, bricht auch die Nacht herein und mit ihr die Kälte. Durch die lose
zusammengefügten Bretter der Hüttenwand dringt eisiger Wind. Nur die Maulesel scheint der Temperatursturz von fast vierzig Grad binnen weniger Stunden kaltzulassen. Schwarz zeichnen sich ihre Silhouetten gegen den sternenvollen Nachthimmel ab, tierische Schattenspiele, wie festgefroren sehen sie aus,
wie sie jetzt auf der mondmilchig-hellen Almwiese stehend unter ihren Schlafbäumen dösen.
Am Morgen bildet der Atem weiße Wölkchen, und das Wasser im Trinkbecher ist mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Nichts deutet mehr darauf hin, dass wir
uns mitten in der Karibik befinden, auf der zweitgrößten Insel der Großen Antillen. Der zweite Tag bringt das verdiente Gipfelglück. Nach weiteren
sechshundertfünfzig Höhenmetern haben wir es geschafft. Irgendwann müssen wir die Mulis zurücklassen, doch erst knapp vor der Bergspitze werden die
Kordilleren ihrem Beinamen "Karibische Alpen" wirklich gerecht. Erst bei dreitausend Metern verläuft die Baumgrenze. Zwischen großen Granitblöcken, die
sich zu einem schmalen Grat auftürmen, verliert sich jetzt der Pfad.
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Der Gipfel des Pico Duarte |
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Stolze Gipfelstürmer |
Und
dann ist der Gipfel eines Berges erreicht, der im Laufe der Zeit etliche Male umbenannt wurde. Der Erstbesteiger Robert H. Schomburgk nannte ihn 1851
Monte Tina. 1913 gab ihm der schwedische Botaniker Erik L. Ekman den Namen Pelona Grande, der Zwillingsberg hieß fortan Pelona Chica. Während der
Diktatur von Präsident Rafael Leónidas Trujillo, der die Dominikanische Republik dreißig Jahre lang tyrannisierte, wurde nicht nur die Hauptstadt Santo
Domingo in Ciudad Trujillo, sondern auch der größte Berg in Pico Trujillo umbenannt. Erst nach dem Tod des Despoten durch ein Attentat 1961 erhielt das
Massiv den Namen Pico Duarte.
Neben einem Holzkreuz steht die bronzene Büste von Juan Pablo Duarte, der von 1813 bis 1876 lebte und die Dominikanische Republik 1844 in die
Unabhängigkeit führte. Der Wahlspruch des größten Nationalhelden des Landes lautete: "Dios, Patria y Libertad" - Gott, Vaterland und Freiheit. Eine
Messingtafel ermahnt die Bergsteiger, das Gedächtnis des berühmtesten Dominikaners zu wahren und Vaterlandsliebe und Respekt zu zeigen, indem man das
Denkmal nicht zerkratzt. Das machen wir gerne, denn der "Padre de la patria", der Vater des Vaterlandes, hat zumindest für die überwältigten
Gipfelstürmer die Dominikanische Republik ein zweites Mal befreit: von einem Image, das sie weiß Gott nicht verdient.
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Tipps & Informationen |
Weitere Auskünfte: Fremdenverkehrsamt der Dominikanischen Republik Hochstr. 54, 60313 Frankfurt Telefon:
069/91397809 E-mail: domtur@aol.com Internet:
www.godominicanrepublic.com
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