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Vor vierzig Jahren ließ der damalige Staatschef Rafael Leónides Trujillo die
Mirabal-Schwestern ermorden. Recherchen in der Dominikanischen Republik.

Von Uli Dillmann

conectados.net/mirabal/biographies

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»Stoppt die Gewalt gegen Frauen«, fordern Frauen in aller Welt am 25. November. 1960 ließ der Diktator Rafael Leónides Trujillo an diesem Tag María Teresa, Minerva und Patria Mirabal in der Dominikanischen Republik ermorden.

Auch nach über vierzig Jahren ist die Erinnerung an diesen Tag nicht verblasst. Immer wieder hat Bélgica Adela Mirabal Fernández, die vierte der Mirabal-Schwestern, Freunden und Fremden die damaligen Ereignisse geschildert. »Patria, Minerva und María Teresa verließen am 25. November 1960 kurz nach acht Uhr morgens unser Elternhaus. Den Jeep Landrover steuerte Rufino de la Cruz, von dem wir wussten, dass er zuverlässig war und mit der Opposition sympathisierte. Auf dem Beifahrersitz saß Minerva, auf der Rückbank saßen María Teresa und Patria. Etwas Bedrohliches lag in der Luft. Aber wir konnten es nicht greifen.«

Die drei Frauen wollten in Puerto Plata, dem heutigen Ferienparadies sonnenhungriger Europäer, ihre seit zehn Monaten inhaftierten Ehemänner besuchen. Auch die Mirabal-Schwestern waren während der Verhaftungswelle festgenommen, jedoch »auf Ehrenwort« von der Haft verschont worden. »Ich konnte die Rückkehr meiner Schwestern nicht mehr abwarten. Ich wohnte ein paar Kilometer entfernt und musste mich um meine und ihre Kindern kümmern.« Am folgenden Morgen kam ein Junge auf einem Muli mit der Mitteilung ihrer Mutter, ihre Schwestern seien noch immer nicht zurück. »Da wusste ich, Trujillo hat sie umbringen lassen.«

Am Mittag brachten Militärangehörige und Polizisten dann die bereits eingesargten Leichen. »Drei Mütter und ein Fahrer bei tragischem Autounfall ums Leben gekommen«, titelte in der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo die Abendzeitung La Nación, das offizielle Sprachrohr des Diktators. Trotz des Verbots öffnen die Familienangehörigen im Chaos der Beerdigungsvorbereitungen heimlich die Särge: Die Schädel waren eingeschlagen, am Hals deutlich Würgespuren sichtbar. »Ich konnte nicht anders, es war eine Zwangshandlung«, erklärt Dedé Mirabal, wie sie von allen gerufen wird, warum sie damals ihrer Schwester Patria den schwarzen Haarzopf abschnitt. »Niemand hat es gemerkt. Ich habe in all den Jahren unserer Kindheit diese Haare so oft und mit soviel Liebe geflochten. 34 Jahre habe ich ihn in einem Schuhkarton vor allen verborgen gehalten.« Seit sechs Jahren ist dieses makabre Andenken in einer Glasvitrine im »Museo Mirabal« zu sehen. Das damalige Haus der Familie am Rande der Kleinstadt Salcedo im Zentrum der dominikanischen Republik ist inzwischen Museum und Gedenkstätte für die »Schmetterlinge«. »Las Mariposas«, das war der Deckname der vier Schwestern innerhalb der antitrujillistischen Opposition.

»Es war eine schreckliche Leere nach dem Tod meiner Schwestern im Haus«, sagt Dedé Mirabal. »Mich hielt nur die Verpflichtung am Leben, mich um die Kinder zu kümmern und das Andenken an meine Schwestern und den Widerstand gegen die Trujillo-Diktatur aufrecht zu halten.« Eine späte Genugtuung erfuhr Dedé Mirabal am 16. August 1996. Da saß sie in der ersten Reihe, als ihr Sohn Jaime David für die Partido de la Liberación Dominicana, die inzwischen neoliberal gewordene Befreiungspartei, als Vizepräsident der Dominikanischen Republik vereidigt wurde. Zum selben Zeitpunkt zog Minou, die 1956 geborene Tochter ihrer ermordeten Schwester Minerva als stellvertretende Außenministerin in ein Gebäude, in dem Trujillo einst rauschende Feste gefeiert hatte.

Dedé Mirabal sitzt im Garten ihres Elternhauses, eines einstöckigen großzügigen Holzgebäudes. An ihr vorbei geht eine Gruppe von Jugendlichen, um sich im Museo Mirabal die Erinnerungsstücke zeigen zu lassen: die Doktorarbeit von Minerva Mirabal, die Handtasche aus schwarzem Plastik und rotem Stoff von María Teresa, die Lockenwickler und Schminkutensilien von Patria. Darüber ein Leinenküchenhandtuch mit rostigbraunen Blutspuren. In diesem Haus ist die Zeit seit 1960 stehen geblieben. Mit weit ausholenden Armbewegungen versucht die 75jährige Dedé Mirabal, dem Besucher die Geschehnisse, Ursachen und Zusammenhänge verständlich zu machen.

Drei Jahrzehnte schon tyrannisierte Raphael Leónides Trujillo die Bevölkerung der Dominikanischen Republik, gleich nebenan beherrschte mit despotischer Macht François Duvalier, »Papa Doc«, Haiti. Hispaniola hatte Kolumbus die karibische Insel auf seiner ersten Entdeckungs- und Eroberungsreise getauft. Während der Besetzung der Insel durch US-amerikanische Truppen von 1916 bis 1924 hatte es Trujillo vom vorbestraften Dieb zum Gefreiten der Nationalgarde gebracht. Nach den Wahlen am 16. Mai 1930 erklärte er sich, inzwischen im Rang eines Generals, zum Sieger, ihm ergebene Truppenteile patrouillierten derweil auf den Straßen. Trujillo war ein Mann, der sich seinen Förderern dankbar zeigte, innerhalb weniger Jahre zahlte er alle Darlehen der US-Regierung mit Zins und Zinseszins zurück. Er war ein blutrünstiger Satyr, der einen unbeschreiblichen Personenkult betrieben hat. Jeden, der ihm in der Armee politisch und militärisch gefährlich werden konnte, ließ »el jefe« ermorden, Oppositionelle ließ er bis ins Exil verfolgen. Und die Praxis des »Verschwindenlassens« trieb Trujillo bis zur Perfektion. »Wir brauchen mehrere Trujillos«, ist als Zitat des US-amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower aus dieser Zeit überliefert. »Er ist zwar ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund.« Nichts war dem bekennenden Franco- und heimlichen Hitler-Bewunderer Trujillo so verhasst wie Intellektuelle, Kommunisten, »vaterlandslose Gesellen« und »homosexuelle Weichlinge«. Mit über dreißig Titeln und Ehrenbezeichnungen schmückte sich der »Generalissimo«, der seinen ersten Sohn Ramfis mit fünf Jahren bereits zum Armeeoffizier befördern ließ.

»Wohltäter des Vaterlandes« musste er in öffentlichen Reden genannt werden, ebenso wie »Oberkommandierender der Streitkräfte«, »Wiederhersteller der finanziellen Unabhängigkeit des Landes«, »Professor der politischen Ökonomie der Universität von Santo Domingo«, »Vater des Vaterlandes«, »Erster Lehrer«, »Erster Journalist« usw. Im Januar 1936 ließ er die »erste Stadt in der Neuen Welt«, Santo Domingo de Guzmán, in Ciudad Trujillo umbenennen. Jedes Dorf hatte seinen Trujillo-Platz, jeder Weiler musste ihm seinen Brunnen weihen. Und in den Häusern hing sein Bild mit dem Spruch: »Trujillo ist der Herr des Hauses.« Wenn dem »geilen Ziegenbock«, wie er hinter vorgehaltener Hand tituliert wurde, eine Frau gefiel, ruhte der »größte Liebhaber des Landes«, der vergeblich versuchte, mit Bleichcreme seinen braunen Teint aufzuhellen, nicht eher, als er sie »besessen« hatte.

»Auch die reichen Familien des Landes mussten ihre Töchter vor Trujillo verstecken«, erzählt die Schriftstellerin Angela Hernández. »Es wird nach wie vor nicht genügend Augenmerk auf die Tatsache gerichtet, dass sich die Tyrannei Trujillos auch durch die sexuelle Ausbeutung und Unterwerfung der Frauen charakterisierte«, kritisiert die 46jährige, die heute die dominikanische Regierung in »Geschlechterfragen« berät. »Er versuchte, dadurch seine Identität als Macho und Patriarch zu untermauern. Die Ermordung von Minerva, Patria und María Teresa ist ein Beispiel für die sexuelle, politische und kulturelle Gewalt, unter denen Frauen zu leiden haben.«

Angela Hernández ist es zu verdanken, dass der »Internationale Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen« am 25. November, am Todestag der »Hermanas Mirabal«, begangen wird. Als auf dem ersten feministischen Kongress lateinamerikanischer Frauen 1981 in Bogotá über sexistische Gewalt debattiert wurde, schlug die feministische Autorin dieses Datum vor. Seitdem finden nicht nur in dem heute acht Millionen Einwohner zählenden Ferienparadies, sondern in allen Ländern Lateinamerikas Demonstrationen und Veranstaltungen unter dem Slogan »Schluss mit der Gewalt gegen Frauen« statt. Aber erst in den vier Jahren von 1996 bis zum August 2000, als die Befreiungspartei PLD das Land regierte, wurde ein Frauenministerium geschaffen und eine polizeiliche Beratungsstelle für weibliche Opfer von Gewalt eingerichtet. »Vor Jahrzehnten sind wir noch mit Machogehabe belächelt worden, heute haben wir ein passables Gesetz gegen Gewalt in der Familie«, berichtet Angela Hernández. Manchmal überrasche es sie noch, wenn auf Gender-Konferenzen breitbeinig sitzende Polizeioffiziere eloquent mit Begriffen aus der Frauenbewegung sexistische Gewalt anklagen.

Berüchtigt waren die Feste des Caudillo: Denn Trujillo lud auch jene Landsleute zum Tanz ein, von denen seine Polizeispitzel schon längst gemeldet hatten, dass er in ihrem Haus nicht der Boss war. »Auch wir gehörten 1949 dazu. Es war eine perfide Inszenierung«, berichtet Dedé Mirabal. Den Anwesenden wurde mit jedem Trinkspruch unmissverständlich klar gemacht, wie sehr ihre körperliche Unversehrtheit vom guten Willen des »großen Wohltäters« abhing.

Minerva war die stärkste der vier Schwestern. Sie lief in Hosen herum, rauchte Zigarren. Der Vater kaufte als einer der ersten im Bezirk ein Auto, und sie setzte sich hinters Steuer. Die Tochter des wohlsituierten Finca-Besitzers war eine ständige Provokation. »Einmal hat Trujillo Minerva ganz offen den Hof gemacht«, erinnert sich Dedé, »aber jedes Wort, jede Geste meiner Schwester war eine fast schon körperlich spürbare Beleidigung für den Tyrannen.« Am nächsten Tag wurde Minerva Mirabal verhaftet und erst wieder freigelassen, nachdem sie sich auf Drängen der Familie telegrafisch für die Unhöflichkeit entschuldigt hatte.

Seitdem machte der Diktator der Familie das Leben zur Hölle. Die unumschränkte Macht des selbstherrlichen Despoten begann erst Mitte der fünfziger Jahre zu schwinden. Die Revolution auf der kubanischen Nachbarinsel beflügelte die dominikanischen Exilgruppen. Eine von Kuba aus vorbereitete Invasion von Guerillakämpfern scheiterte am 14. Juni 1959. Aber seitdem hatte die Opposition einen Namen: »Bewegung 14. Juni«. Der Rechtsanwalt Manuel Tavárez Justo war ihr Kopf, ihn, »Manolo«, hatte Minerva Mirabal 1954 geheiratet. Sie war als »Schmetterling« dafür zuständig, die klandestine Bewegung mit christlichen Kreisen und Intellektuellen in Kontakt zu bringen. Die vier »Mariposas« legten Waffenlager an, kratzten aus Feuerwerkskörpern das Schwarzpulver, nähten schwarzen und grünen Stoff für Fahnen der Bewegung zusammen. Eines dieser Banner hat Dedé Mirabal in einem Depot noch gefunden. Jetzt hängt es im ehemaligen Zimmer ihrer Schwester Minerva: »1J4«, für den 14. Juni, ist darauf in Weiß gestickt und ein »Q«. Quisqueya nennen die Dominikaner ihre karibische Heimat.

Bald ließ auch die Kirche den »ersten Diener Gottes« fallen. Im ganzen Land wurde von den Kanzeln ein Hirtenbrief verlesen: »Es ist eine schwere Sünde gegen Gott, die Persönlichkeitsrechte zu missachten.« Die Organisation Amerikanischer Staaten drohte mit der politischen Isolation des Landes. »Ich habe nur zwei Probleme«, äußerte sich damals Trujillo im Kreis von Vertrauten, »die Pfaffen und die Mirabals. Was würde ich dafür geben, sie zu lösen.« Auf ihrer Heimfahrt vom Gefangenenbesuch über die bergige Landstraße wurden Patria, Minerva und María Teresa Mirabal und ihr Chauffeur Rufino de la Cruz zum letzten Mal lebend gesehen: José Garcia Pérez, ein Lastwagenfahrer, musste in der hereinbrechenden Dunkelheit scharf bremsen. Auf der Straße versperrte ein quer gestelltes Fahrzeug einem Geländewagen den Weg. Eine junge Frau mit einem geflochtenen Pferdeschwanz lief auf seinen Lkw zu und schrie, bevor sie von einem Mann weggerissen wurde: »Sagen Sie der Familie Mirabal, dass sie uns verschleppen. Sie wollen uns umbringen.«

Vor Angst paralysiert, habe Pérez erst Jahre später sein Schweigen gebrochen, berichtet Doña Dedé. »Er ist verrückt geworden, überall fühlte er sich vom Schatten Trujillos verfolgt.« Das Dorf La Cumbre liegt auf einer Anhöhe 26 Kilometer südlich von Puerto Plata. Rechts und links der wenig befahrenen Straße stehen bunt gestrichene Holzhäuser. Riesige rotblättrige Flamboyants, Flammenbäume, und Mangobäume säumen den Weg. An der Abzweigung in Richtung Salcedo liegt heute wie damals eine Polizeistation. »Todo para la Patria« steht dort in großen Lettern über dem Eingang. Niemand konnte diesen Kontrollposten unbemerkt passieren. Das riesige Anwesen gegenüber diente Trujillo als Refugium. Dedé Mirabal: »Es gibt Gerüchte, dass er an diesem Abend dort war, aber keine Beweise.« Der Weg windet sich zwischen grünen Hügeln an Bougainvillea-Sträucher in strahlendem Rot, Gelb und Violett vorbei. Seit Tagen hat es geregnet. Die lehmige Fahrbahn hat sich mit Wasser vollgesogen, an manchen Stellen drehen die Reifen im Matsch durch. »Dort vorne haben sie den Wagen in den Abgrund gestoßen«, sagt Ignacio. Trotz des strömenden Regens hilft er, blitzschnell einen platten Reifen zu wechseln. Häuser gab es hier vor vierzig Jahren nicht. Ein idealer Ort, um ohne lästige Zeugen einen Unfall zu konstruieren. Eine kleine Gedenktafel markiert die Stelle, an dem der Geländewagen mit den Leichen in den Abgrund gestürzt wurde. »Todo perfecto, alles perfekt«, meldete Ciriaco de la Rosa, der Chef des Kommandos, seinen Vorgesetzten vom Geheimdienst in der Provinzhauptstadt Santiago.

Die Mörder wurden erst nach Trujillos Tod zu 20 und 30 Jahren Haft verurteilt. Als US-Truppen 1965 erneut mit einer Invasion für politische Stabilität sorgten, verschwanden die Häftlinge. Victor Alicinion Cruz Valerio, der Regionalchef des Militärischen Geheimdienstes und Leiter des Mordkomplotts, »lebt heute in Florida«, erregt sich Dedé Mirabal, »und schreibt selbstgefällige Rechtfertigungen seiner Tat«. Als Minerva, María Teresa und Patria am 26. November 1960 auf dem kleinen Friedhof im Zentrum von Salcedo beigesetzt werden, hatte »el Jefe« nur noch sechs Monate zu leben. »Mit der Ermordung meiner Schwestern hat er sein eigenes Ende eingeläutet«, glaubt Dedé Mirabal.

In den Abendstunden des 30. Mai 1961 wurde der »beste Merenguetänzer« der Insel auf der Uferpromenade von Santo Domingo erschossen. Zwar traute sich noch Tage danach niemand auf die Straße. Bald aber begannen die ersten, im Wiegeschritt eines Merengues zu tanzen und zu singen: »Mataron el Chivo - sie haben den Ziegenbock umgebracht.«

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Stand: 26. Juli 2009
 

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